Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustimmungserklärung für Sprungrevision. beglaubigte Abschrift

 

Orientierungssatz

1. Für die Zulässigkeit der Sprungrevision muß der volle Beweis für das Vorliegen der Zustimmungserklärung innerhalb der Revisionseinlegungsfrist gefordert werden. Da muß für alle Beteiligten Klarheit bestehen, ob die Fiktion des Rechtsmittelverzichts (§ 161 Abs 5 SGG) eingreift. Vom Eintritt späterer Umstände darf dieser Nachweis keinesfalls abhängig sein, sonst hätte das Erfordernis, die Zustimmung der fristgebundenen Revision beizufügen, keinen Sinn mehr.

2. Die Vorlage kann auch in beglaubigter Abschrift erfolgen, wobei jedoch der Beglaubigungsvermerk seinerseits den Erfordernissen einer öffentlichen Urkunde entsprechen muß. Ohne diesen Beglaubigungsvermerk liegt keine öffentliche Urkunde vor, die nach § 415 Abs 1 ZPO den vollen Beweis für den beurkundeten Vorgang erbringt.

 

Normenkette

SGG § 161 Abs 1 S 1, § 161 Abs 1 S 3, § 164 Abs 1 S 1; ZPO §§ 435, 415 Abs 1

 

Verfahrensgang

SG Berlin (Urteil vom 18.03.1992; Aktenzeichen S 8 Z-An 145/91)

 

Tatbestand

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 18. März 1992 verurteilt, im Hinblick auf die sog "Zahlbetragsgarantie" des Einigungsvertrags dem Kläger auch über den 31. Juli 1991 hinaus die bisherigen Gesamteinkünfte aus Zusatzversorgung und Sozialversicherungsrente weiterzuzahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Gegen das am 14. April 1992 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4. Mai 1992 Sprungrevision eingelegt und am 8. Mai 1992 eine unbeglaubigte Ablichtung von Seite 15 des Urteils (mit dem Hinweis, daß die Beteiligten bereits in der mündlichen Verhandlung zur Sitzungsniederschrift ihr Einverständnis mit der Revisionseinlegung durch die jeweilige Gegenseite erklärt haben) sowie einen weder unterschriebenen noch beglaubigten Durchschlag des Protokolls über die Sitzung des SG Berlin vom 18. März 1992 vorgelegt. Am Ende des Protokolls, unterhalb der Unterschriftsleiste, findet sich der Vermerk: "Beide Beteiligten erklären ihre Zustimmung mit einer Revisionseinlegung durch die Gegenseite. v.u.g.". Die am 8. Mai 1992 angeforderten Prozeßakten des SG Berlin mit der unterschriebenen Urschrift des Protokolls sind beim Bundessozialgericht (BSG) am 20. Mai 1992 eingegangen.

Nach dem Hinweis, daß bis zum Ablauf der Revisionseinlegungsfrist weder die Urschrift noch eine beglaubigte Abschrift des Protokolls mit der Zustimmungserklärung zur Sprungrevision eingegangen seien, hält die Beklagte die Revision dennoch für zulässig: der entgegenstehende Beschluß des Großen Senats des BSG vom 30. Juni 1960 sei durch Gesetzesänderung überholt. Die Entscheidung sei auf § 126 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gestützt, der nach Änderung durch das Beurkundungsgesetz vom 28. August 1969 den Ersatz der Schriftform durch gerichtliche Protokollierung nicht mehr vorsehe. Zudem hätten sich der 3. und 5. Senat des BSG in den Urteilen vom 13. Februar 1964 und 7. September 1989 von dieser strengen Rechtsprechung gelöst. Wenn die Übermittlung der Zustimmungserklärung durch Telegramm, Fernschreiben oder Telekopie nach der Rechtsprechung dem Schriftformerfordernis genüge, müsse dies erst recht für einen Abdruck des Protokolls gelten, zumal hierauf auch in der vorgelegten Urteilspassage Bezug genommen worden sei. Täuschungsmöglichkeiten seien ausgeschlossen, da sich die Urschrift des Protokolls bei der Gerichtsakte befinde. Zudem liege hier der Fehler in der Sphäre der Sozialgerichtsbarkeit, denn die (mangelhafte) Ausfertigung des Protokolls sei an das BSG, so wie sie einging, nur weitergeleitet worden.

Der Kläger fühlt sich an die Zustimmungserklärung in der mündlichen Verhandlung vom 18. März 1992 gebunden und rügt deshalb nicht die Unzulässigkeit der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die (Sprung-)Revision der Beklagten ist gemäß § 169 Satz 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Entgegen § 161 Abs 1 Satz 1 und 3, § 164 Abs 1 Satz 1 SGG wurde der Revisionsschrift die "schriftliche Zustimmung" des Klägers nicht "beigefügt" und auch nicht dafür Sorge getragen, daß die schriftliche Zustimmung oder wenigstens eine gerichtlich beurkundete Zustimmungserklärung bis zum Ablauf der Revisionseinlegungsfrist am 14. Mai 1992 beim BSG vorlag.

Der Große Senat des BSG hat mit Beschluß vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 230, 233 f = SozR Nr 14 zu § 161 SGG) klargestellt, daß dem Erfordernis des § 161 Abs 1 Satz 1 SGG auch dann Genüge getan ist, wenn der Revisionskläger innerhalb der Revisionsfrist eine beglaubigte Abschrift des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem SG vorlegt, in der die Beteiligten übereinstimmend erklärt haben, sie seien mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden. An diese - zutreffende - Entscheidung hält sich der Senat nach wie vor für gebunden. Es ist zwar richtig, daß sie auf den durch das Beurkundungsgesetz vom 28. August 1969 (BGBl I 1513) aufgehobenen § 126 Abs 3 BGB gestützt war, der den Ersatz der Schriftform durch gerichtliche Protokollierung vorgesehen hat, und mittlerweile eine gefestigte Rechtsauffassung dahingehend besteht, daß § 126 BGB weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozeßerklärungen angewendet werden kann (Beschluß des GmSOGB vom 30. April 1979, SozR 1500 § 164 Nr 14 S 23 mwN). Schon damals hatte aber der Große Senat eine Erklärung zu Protokoll auch in den Ländern als ausreichend angesehen, die aufgrund der Ermächtigung in Art 141 Einführungsgesetz zum BGB, § 77 Abs 2 Reichsnotarordnung die Beurkundung von Rechtsgeschäften ausschließlich den Notaren übertragen hatten. Die spätere Rechtsänderung durch das Beurkundungsgesetz für die übrigen Bundesländer wurde also bereits erfaßt.

Das Merkmal der Schriftlichkeit erfordert nicht die handschriftliche Unterzeichnung des Schriftstücks. Prozeßrechtlich ist allein entscheidend, welchen Grad von Formenstrenge die maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll fordern (BVerfGE 15, 288, 292). Für die Zulässigkeit der Sprungrevision muß aber der volle Beweis für das Vorliegen der Zustimmungserklärung innerhalb der Revisionseinlegungsfrist gefordert werden. Da muß für alle Beteiligten Klarheit bestehen, ob die Fiktion des Rechtsmittelverzichts (§ 161 Abs 5 SGG) eingreift. Vom Eintritt späterer Umstände darf dieser Nachweis keinesfalls abhängig sein, sonst hätte das Erfordernis, die Zustimmung der fristgebundenen Revision beizufügen, keinen Sinn mehr. Ein ordnungsgemäß gem § 122 SGG, §§ 159 f Zivilprozeßordnung (ZPO) gefertigtes Protokoll dokumentiert in gleicher Weise wie eine handschriftliche Erklärung die Abgabe der Zustimmungserklärung (vgl § 415 ZPO). Die Vorlage kann auch in beglaubigter Abschrift erfolgen, wobei jedoch der Beglaubigungsvermerk seinerseits den Erfordernissen einer öffentlichen Urkunde entsprechen muß (vgl § 435 ZPO). Ohne diesen Beglaubigungsvermerk liegt keine öffentliche Urkunde vor, die nach § 415 Abs 1 ZPO den vollen Beweis für den beurkundeten Vorgang erbringt. Die Beklagte hat hier einen Durchschlag des Protokolls - ohne Unterschriften und ohne Beglaubigungsvermerk - vorgelegt. Es könnte sich dabei ebensogut um einen nicht unterzeichneten und später verworfenen Entwurf des Protokolls handeln, der in die Hände der Beklagten gelangt ist. Da trotz sofortiger Anforderung der Gerichtsakten die Urschrift des Protokolls erst nach Ablauf der Revisionsfrist dem BSG vorlag, konnte der Mangel der Revision auch nicht mehr geheilt werden (vgl BSG SozR 1500 § 161 Nr 2).

Keinesfalls ist es ausreichend, eine unbeglaubigte Kopie einer Seite des Urteils vorzulegen, wo erwähnt ist, die Beteiligten hätten die Zustimmungserklärung zur Sprungrevision zur Niederschrift abgegeben. Abgesehen vom eingeschränkten Beweiswert der unbeglaubigten Kopie ist es immer erforderlich, die Erklärung selbst vorzulegen (vgl Beschluß des 4. Senats vom 1. Juli 1976 - 4 RJ 135/75 in SozR 1500 § 161 Nr 8).

Die von der Beklagten angeführte Rechtsprechung des BSG weicht nicht von der hier vertretenen Rechtsauffassung ab. Es ist deshalb nicht erforderlich, den Großen Senat anzurufen.

Soweit sich die Beklagte auf das Urteil des 3. Senats des BSG vom 13. Februar 1964 (BSGE 20, 154 = SozR Nr 17 zu § 161 SGG) stützt, liegt dieser Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde. Die Zustimmungserklärung wurde nicht, wie von der Beklagten angenommen, als Kopie der unbeglaubigten Sitzungsniederschrift vorgelegt, sondern als Kopie einer privatschriftlichen Erklärung. In einem solchen Falle gelten nicht die Beweisregeln für öffentliche Urkunden. Vielmehr kann sich das Gericht auf den Augenschein verlassen und vergleichen, ob die Kopie die Unterschrift des Rechtsmittelgegners oder seines Vertreters trägt. Soweit das BSG, einem praktischen Bedürfnis entsprechend, die telegrafische Einwilligungserklärung zur Sprungrevision genügen ließ (BSGE 5, 3), handelte es sich nicht um der Revisionsschrift beigefügte Erklärungen des Rechtsmittelgegners, sondern um dessen eigenständige Erklärung gegenüber dem BSG. In einem solchen Falle kann die Zustimmungserklärung nicht mehr widerrufen werden - es gelten hier die gleichen Grundsätze wie bei einer telegrafisch eingelegten Revision.

Schließlich weicht der Senat auch nicht vom Urteil des 5. Senats des BSG vom 7. September 1989 (SozR 2200 § 1268 Nr 33) ab. Die Rechtsfrage, ob auch eine unbeglaubigte Kopie der Sitzungsniederschrift als Beweis für die Zustimmungserklärung ausreicht, wurde vom 5. Senat nämlich ausdrücklich offengelassen.

Nach alledem war deshalb die Sprungrevision der Beklagten - ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter - durch Beschluß zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1667808

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