Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung. Erstellung der Revisionsbegründung erstmalig am Tag des falsch notierten Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rechtsanwalt beachtet seine Sorgfaltspflicht nicht hinreichend, wenn er nach Einlegung der Revision die Akte zur Erstellung der Revisionsbegründung erstmalig am Tag des im Fristenkalender (falsch) notierten Ablaufs der Begründungsfrist zur Hand nimmt (Fortführung von BSG vom 26.3.1992 – 11 BAr 117/91 = SozR 3-1500 § 67 Nr 3).

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

SGG § 67 Abs. 1, § 164 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.12.1995; Aktenzeichen L 5 Ka 30/94)

SG Mainz (Entscheidung vom 22.06.1994; Aktenzeichen S 2 Ka 147/93)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. Dezember 1995 wird verworfen.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Revision ist gemäß § 169 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet worden ist. Der Beklagte hat die Revision gegen das seinem Bevollmächtigten am 4. Januar 1996 zugestellte Urteil erst am 5. März 1996 begründet. Damit hat er die Begründungsfrist von zwei Monaten nach § 164 Abs 2 Satz 1 SGG nicht gewahrt, weil diese Frist am Montag, den 4. März 1996, abgelaufen war.

Dem fristgerecht (§ 67 Abs 2 Satz 1 SGG) gestellten Antrag des Beklagten, ihm nach § 67 Abs 2 SGG Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, kann nicht entsprochen werden. Der Beklagte war nicht „ohne Verschulden verhindert”, die Revision fristgerecht zu begründen. Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden seines Bevollmächtigten, das sich der Beklagte gemäß § 73 Abs 4 SGG iVm § 85 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) zurechnen lassen muß. Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist hier zumindest auch durch ein Anwaltsverschulden verursacht worden.

Ein Rechtsanwalt kann die Berechnung üblicher und in seiner Praxis häufig vorkommender Frist sowie die Führung eines Fristkalenders seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen, darf jedoch die Berechnung der Revisionsbegründungsfrist wegen ihrer Schwierigkeit und Bedeutung auch qualifizierten Mitarbeiterinnen seiner Kanzlei nicht vollständig übertragen (vgl Beschluß des BSG vom 29. Januar 1991 – 4 RA 46/90 – Soziale Sicherheit 1992, S 260; Bundesgerichtshof ≪BGH≫, NJW 1992, S 1632). Zumindest muß der Rechtsanwalt durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür sorgen, daß Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört nach der Rechtsprechung des BGH die allgemeine Anordnung, daß jedenfalls bei solchen Prozeßhandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie das regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs auch noch eine sog Vorfrist von etwa einer Woche zu notieren ist (BGH, NJW 1991, 2082; NJW 1994, 2551). Diese Vorfristnotierung soll bewirken, daß dem Rechtsanwalt durch rechtzeitige Vorlage der Akten auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bleibt (vgl BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 9 S 24 f). Wenn diesen Anforderungen hier genügt worden wäre, wäre dem Bevollmächtigten des Beklagten rechtzeitig vor Fristablauf aufgefallen, daß die Revisionsbegründungsfrist – wie ursprünglich richtig im Fristkalender notiert -am 4. März 1996 und nicht erst am 5. März 1996 abläuft. Der Senat unterstellt dabei zugunsten des Bevollmächtigten des Beklagten, daß seine gut ausgebildete und sorgfältig überwachte Bürovorsteherin eigenmächtig den ursprünglich auf den 4. März 1996 notierten Fristablauf auf den 5. März 1996 abgeändert hat und daß sie sich insoweit von der Mitteilung des Gerichts hat leiten lassen, wonach die Revision hier am Montag, den 5. Februar 1996, eingegangen ist. Nach einer vom Bevollmächtigten des Beklagten zu den Akten gereichten Kopie des Fristkalenders war unter dem 27. Februar 1996 als Wiedervorlage zum 1. März 1996 mit dem erkennbar abgeänderten Fristablaufsdatum „5. März Kassel L 5 Ka 30/94 Revisionsbegründung” notiert worden. Diese Frist war von vornherein sehr knapp bemessen, wenn berücksichtigt wird, daß der 1. März 1996 ein Freitag war, so daß zur Bearbeitung der Sache selbst bei Annahme eines Fristablaufs am 5. März 1996 nur ein Werktag (4. März 1996) verblieben ist. Nach dem Vorbringen des Bevollmächtigten des Beklagten ist ihm die Streitsache jedoch entweder am 1. März 1996 entgegen der Vorfristnotierung nicht vorgelegt worden, oder er hat sie weder am notierten Tag der Wiedervorlage (1. März 1996) noch am nächsten Werktag (4. März 1996) zur Bearbeitung zur Hand genommen. Er hat dazu selbst wörtlich ausgeführt: „Der Unterzeichner hat deshalb die Akte auch erst am 5. März 1996 zur Bearbeitung aufgenommen und die Revisionsbegründungsschrift diktiert – hierbei allerdings festgestellt, daß die Frist bereits am 4. März 1996 abgelaufen war”. Bei einer solchen Arbeitsweise verliert die Vorfristnotierung ihren Sinn, denn wenn der Bevollmächtigte des Beklagten die Akte am Tag des Ablaufs der Vorfrist oder zumindest am darauffolgenden Arbeitstag durchgesehen hätte, hätte ihm auffallen können und müssen, daß die Revisionsbegründungsfrist tatsächlich bereits am 4. März 1996 ablief. Noch an diesem Tag hätte Gelegenheit bestanden, eine Revisionsbegründungsschrift zu entwerfen und per Telefax dem Gericht zuzusenden, oder um kurzfristige Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 164 Abs 2 Satz 2 SGG) nachzusuchen. Nicht die Tatsache, daß die Bürovorsteherin des Bevollmächtigten eigenmächtig und irrtümlich im Fristenkalender den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist um einen Tag verschoben hat, sondern die Tatsache, daß der Bevollmächtigte des Beklagten nach eigener Darstellung die Akte zur Erstellung der Revisionsbegründung erstmalig am Tag des vermeintlichen Fristablaufs zur Hand genommen hat und dann sofort auf die fehlerhafte Korrektur des Fristablaufs aufmerksam geworden ist, begründet hier das Anwaltsverschulden, das eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist ausschließt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174442

NZA 1997, 339

DÖV 1997, 37

SozR 3-1500 § 67, Nr.10

Breith. 1997, 73

SozSi 1997, 113

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