Leitsatz (amtlich)

Für die Streitigkeit zwischen einer nicht zur Behandlung von Kassenpatienten zugelassenen Therapeutin und einer Kassenärztlichen Vereinigung darüber, ob Kassenärzte für Patienten, die sich von der Therapeutin behandeln lassen wollen, Gesundheitszeugnisse mit Diagnose und einer Psychotherapie-Indikation als vertragsärztliche Leistung erbringen müssen, ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.

Werden in einer Klageschrift mehrere prozessual selbständige Ansprüche erhoben (objektive Klagenhäufung), so ist für jeden dieser Ansprüche gesondert zu prüfen, ob der gewählte Rechtsweg zulässig ist.

 

Normenkette

SGG § 51 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; GVG § 17a Abs. 4 S. 4, Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Karlsruhe (Beschluss vom 27.08.1996)

LG Baden-Baden (Beschluss vom 14.12.1995)

 

Tenor

Auf die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. August 1996 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen im nachfolgenden Umfang aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Baden-Baden vom 14. Dezember 1995 abgeändert. Es wird festgestellt, daß zur Entscheidung über das mit dem Klageantrag zu 1 verfolgte Klagebegehren die Sozialgerichte zuständig sind. In diesem Umfang wird der Rechtsstreit an das Sozialgericht Karlsruhe verwiesen.

Die Kosten der Beschwerdeverfahren werden der Klägerin zu 5/6 und der Beklagten zu 1/6 auferlegt.

 

Tatbestand

I. Die Klägerin ist Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis. Sie verfügt nicht über eine vertragliche Zulassung zur Behandlung von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen (Kassenpatienten) und gehört auch nicht der beklagten kassenärztlichen Vereinigung N. an, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der u.a. die Sicherung der kassenärztlichen Versorgung obliegt. Kassenpatienten, die sich von der Klägerin behandeln lassen wollen, können die Behandlungskosten nach § 13 Abs. 3 SGB V von ihrer Krankenkasse nur erstattet erhalten, wenn ein Arzt die Notwendigkeit einer Therapie attestiert hat und weder ein Kassenarzt noch ein gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 SGB V den Kassenärzten vertraglich verbundender Psychotherapeut (sog. Delegationsverfahren) in der Lage ist, die Behandlung in angemessener Zeit durchzuführen.

Die Klägerin ist der Auffassung, daß die der Beklagten angehörenden Ärzte Dres. B. in Ba. berechtigt seien, Patienten, die von ihr behandelt werden wollten, das für eine Kostenerstattung erforderliche Gesundheitszeugnis mit Diagnose und einer Psychotherapieindikation als vertragsärztliche Leistung auszustellen. Die Beklagte vertritt demgegenüber die Ansicht, die von Kassenpatienten der Klägerin erbetenen Therapienotwendigkeitsbescheinigungen dürften nicht als kassenärztliche Leistung abgerechnet, sondern müßten privat bezahlt werden. Hierauf hat sie u.a. auch die in der Gemeinschaftspraxis Dres. B. tätigen Kassenärzte hingewiesen und von ihnen ein dementsprechendes Vorgehen verlangt.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte behindere sie durch ihr Verhalten rechtswidrig in ihren Wirtschaftlichen Wettbewerbsinteressen.

Sie hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, gegenüber der Gemeinschaftspraxis Dres. B., … Straße in Ba. zu erklären, daß die Dres. B. bei allen potentiellen Psychotherapiepatienten, die beabsichtigen, bei Frau Diplom-Psychologin M. G. psychotherapeutische Leistungen in Anspruch zu nehmen, ein entsprechendes Gesundheitszeugnis mit Diagnose und einer Psychotherapieindikation als vertragsärztliche Leistung ausstellen dürfen,
  2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem rechtswidrigen Verhalten der Beklagten entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte hat unter Hinweis auf die am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Neufassung des § 51 Abs. 2 SGG die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Zivilgerichten gerügt; sie hält die Sozialgerichte für zuständig.

Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erachtet. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die weitere sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Sie führt hinsichtlich des mit dem Klageantrag zu 1 verfolgten Klagebegehrens zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und insoweit zur Feststellug der Zuständigkeit der Sozialgerichte und Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Karlsruhe.

1. Das Beschwerdegericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht entschieden, daß der Rechtsstreit als bürgerlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte gehört und die spezielle Rechtswegzuweisung nach § 51 Abs. 2 Nr. 1 SGG nicht eingreift. Dazu hat es ausgeführt:

Eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit liege vor, wenn die Parteien sich nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis, sondern gleichberechtigt gegenüberstünden und das Rechtsverhältnis, aus dem der Anspruch nach dem Klägervortrag hergeleitet werde, seine Rechtsgrundlage im Privatrecht habe. Nach dem Sachvortrag der Klägerin behindere die Beklagte sie in ihrem Wettbewerb, weil sie die Erstattung der Kosten für eine von ihr, der Klägerin, vorgenommene Behandlung durch die gesetzlichen Krankenkassen erschwere. Die Klägerin sehe in dem Verhalten der Beklagten eine nach § 1 UWG unzulässige Behinderung fremden Wettbewerbs. Danach liege ein Rechtsverhältnis vor, das seine Rechtsgrundlage im Privatrecht habe.

An dieser Beurteilung ändere sich nichts durch den Umstand, daß die Beklagte im Verhältnis zu den angesprochenen Ärzten hoheitlich in Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Pflichten gehandelt habe. Soweit öffentlich-rechtliches Handeln privatrechtliche Auswirkungen auf Dritte habe, sei für Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Hoheitsträger und dem Dritten der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Neufassung des § 51 Abs. 2 SGG, weil der Gesetzgeber damit wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten privater Unternehmer gegen kassenärztliche Vereinigungen nicht habe erfassen wollen. Nach den Gesetzesmaterialien habe das gesetzgeberische Ziel der Änderung des § 51 Abs. 2 SGG lediglich in der Präzisierung des bislang geltenden Rechtszustandes und nicht in einer grundsätzlichen Erweiterung der Zuständigkeiten der Sozialgerichte bestanden. Dagegen wendet sich die weitere Beschwerde insoweit mit Erfolg, als das Beschwerdegericht auch für das mit dem Klageantrag zu 1 verfolgte Begehren die Zuständigkeit der Zivilgerichte bejaht hat. 2. Soweit sich diese Beurteilung auf den Klageantrag zu 1 bezieht, hält sie der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dem Beschwerdegericht ist nicht darin beizutreten, daß auch nach der am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Neufassung des § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG nur Streitigkeiten mit einem rein öffentlich-rechtlichen Charakter vor die Sozialgerichte gehören.

Die Zuständigkeit der Sozialgerichte ergibt sich im vorliegenden Fall aus § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG (in der Fassung des Art. 32 Nr. 3 des Gesundheitsreformgesetzes – GRG – von 20. Dezember 1988, BGBl. I 2477). Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem SGB V aufgrund der Beziehungen zwischen Ärzten einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände entstehen, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden.

a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kann die Zuständigkeit der Zivilgerichte im Streitfall nicht damit begründet werden, daß die Klägerin ihr Begehren auf die dem Privatrecht zuzurechnende Vorschrift des § 1 UWG stützt. Ob damit die Streitigkeit zwischen den Parteien als eine bürgerlich-rechtliche einzuordnen ist, kann offenbleiben. Denn nach der Neufassung des § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG kann der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ausnahmsweise auch für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten eröffnet sein. Dies ergibt sich vor allem aus der Nummer 3 dieser Bestimmung, Danach entscheiden die Sozialgerichte über Streitigkeiten, die ihren Grund in einem von den Krankenkassen oder ihren Verbänden geschlossenen Vertrag mit privaten nichtärztlichen Leistungserbringern haben. Derartige Leistungsbeschaffungsverträge sind nach den Entscheidungen des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 10. April 1986 (BGHZ 97, 312, 316 – Orthopädische Hilfsmittel) und vom 29. Oktober 1987 (BGHZ 102, 280, 286 f. – Rollstühle) privatrechtlicher Natur. Gleichwohl sind für Streitigkeiten, die aus solchen Leistungserbringungsverträgen resultieren, nach der gesetzlichen Regelung in § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG grundsätzlich die Sozialgerichte zuständig (vgl. BGH, Beschl. v. 5.6.1997 – I ZB 26/96, zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Allerdings reicht die Neufassung des § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG teilweise über das vom Gesetzgeber Gewollte hinaus, indem der Wortlaut der Nummer 3 auch fiskalische Hilfsgeschäfte, für die die ordentlichen Gerichte unzweifelhaft zuständig bleiben sollten, zu erfassen scheint. Ob auch im Rahmen der hier heranzuziehenden Nummer 1 Raum für eine einschränkende Auslegung der Neufassung besteht, bedarf keiner weiteren Klärung. Denn seinem Schwerpunkt nach betrifft das Begehren der Klägerin Aufgaben, deren Erfüllung den Kassenärztlichen Vereinigungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen des SGB V obliegt. Nach Sinn und Zweck der Neuregelung gehört der Rechtsstreit daher, soweit er den Antrag zu 1 zum Gegenstand hat, vor die Sozialgerichte.

Die Klägerin erstrebt mit diesem Klageantrag die Beseitigung der nach ihrer Darstellung den Dres. B. von der Beklagten erteilten Weisung, den Kassenpatienten der Klägerin das für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V erforderliche Gesundheitszeugnis mit Diagnose und eine Psychotherapieindikation nicht als kassenärztliche Leistung auszustellen. Sie hält die von ihr behauptete Anweisung der Beklagten für rechtswidrig, weil die Krankenkassen im Rahmen von § 13 Abs. 3 SGB V alle Aufwendungen, die im Zusammenhang mit einer privaten Leistungsbeschaffung entstünden, zu erstatten hätten und Ziffer 72 der Ärztlichen Gebührenordnung (EBM) die Ausstellung von Therapienotwendigkeitsbescheinigungen auch als gebührenpflichtige Leistung bewerte.

Danach liegt der beanstandeten Weisung das Verhältnis zwischen der Beklagten und den ihr angehörenden Ärzten zugrunde. Dieses Verhältnis ist durch die Hoheitsbefugnisse der Beklagten gegenüber ihren Mitgliedern geprägt. Die Beklagte ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihr obliegt nach den Bestimmungen des SGB V die gesetzliche Verpflichtung, die Einhaltung der Pflichten durch die ihr angehörenden Kassenärzte zu überwachen (§ 75 Abs. 2 SGB V) und Verstöße gegebenenfalls mit Sanktionen zu ahnden (§ 75 Abs. 2, § 81 Abs. 5 SGB V). Von diesen ihr gesetzlich eingeräumten Hoheitsbefugnissen hat die Beklagte nach dem Vorbringen der Klägerin Gebrauch gemacht, als sie den Dres. B. die behauptete Weisung erteilte. Die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme der Beklagten beurteilt sich in erster Linie nach den öffentlich-rechtlichen Normen des SGB V. Unter diesen Umständen kommt eine einschränkende Auslegung des § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht in Betracht.

3. Für die Entscheidung über den Klageantrag zu 2 ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten dagegen nicht eröffnet. Mit ihrem Feststellungsbegehren bezweckt die Klägerin die Sicherung eines möglichen Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte aus Art. 34 GG, § 839 Abs. 1 BGB. Für einen derartigen Anspruch ist nach Art. 34 Satz 3 GG der ordentliche Rechtsweg eröffnet. Dementsprechend haben die Zivilgerichte auch über das einer Schadensersatzklage vorausgehende Feststellungsbegehren der Klägerin zu entscheiden.

Werden in einer Klageschrift mehrere selbständige Ansprüche erhoben (objektive Klagenhäufung), so ist für jeden prozessual selbständigen Anspruch gesondert zu prüfen, ob der gewählte Rechtsweg zulässig ist. Dadurch wird eine Rechtswegmanipulation durch beliebige Klagenhäufung verhindert. Soweit erforderlich, hat eine Prozeßtrennung nach § 145 ZPO zu erfolgen (vgl. BGH, Urt. v. 28.2.1991 – III ZR 53/90, NJW 1991, 1686; BGHZ 119, 93, 97 – Selbstzahler; Zöller/Gummer, ZPO, 20. Aufl., § 17 GVG Rdn. 6). Über die Zulässigkeit des Rechtswegs hinsichtlich der beiden (prozessual selbständigen) Klageanträge ist daher getrennt zu befinden. Gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG ist danach nur hinsichtlich des mit dem Klageantrag zu 1 verfolgten Klagebegehrens die Zuständigkeit der Sozialgerichte auszusprechen und der Rechtsstreit an das zuständige Sozialgericht Karlsruhe zu verweisen.

4. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 20. September 1995 eine Erweiterung ihrer ursprünglichen Klage angekündigt hat, ist dem Senat eine Entscheidung darüber, welcher Rechtsweg hierfür zulässig ist, verwehrt. Das weitergehende Klagebegehren ist noch nicht rechtshängig geworden, weil der fragliche Schriftsatz der Beklagten nicht zugestellt (§ 261 ZPO) und über die angekündigten Anträge auch noch nicht mündlich verhandelt worden ist (§ 297 ZPO). Daher kann – trotz der Wiedergabe dieser Anträge im Sachverhalt der Beschwerdeentscheidung – nicht davon ausgegangen werden, daß die im Schriftsatz vom 20. September 1995 zusätzlich erhobenen Ansprüche Gegenstand der Entscheidung des Beschwerdegerichts waren.

5. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Ullmann, Bornkamm, Pokrant

 

Fundstellen

NJW 1998, 826

GRUR 1998, 506

Nachschlagewerk BGH

MedR 1998, 365

SGb 1998, 313

VersR 1998, 782

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