Leitsatz (amtlich)
Für eine Klage auf teilweise Aufhebung eines zwischen dem Deutschen Apotheker-Verband e.V. und Krankenkassenverbänden geschlossenen Hilfsmittellieferungsvertrages (§§ 126 ff. SGB V) ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
Normenkette
SGG § 51 Abs. 2 S. 1 Nr. 3; GVG § 17a Abs. 4 S. 4
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 14.05.1996) |
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 28.02.1996) |
Tenor
Auf die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Mai 1996 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. Februar 1996 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Tatbestand
I. Der Kläger ist der Dachverband der auf Landesebene bestehenden Innungsverbände für Orthopädietechnik. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehören die Wahrnehmung und Förderung der gewerblichen Interessen der den Landesinnungsverbänden angehörenden Betriebe des Orthopädiemechaniker- und Bandagistenhandwerks.
Der Beklagte ist der Dachverband der Landesapothekerverbände. Er hat am 4. Mai 1995 mit dem Verband der Angestellten Krankenkassen e.V. und dem Arbeiter-Ersatzkassenverband e.V. einen bundesweit geltenden Hilfsmittellieferungsvertrag geschlossen, in dem die Versorgung der Versicherten der genannten Ersatzkassen mit orthopädietechnischen Hilfsmitteln durch Apotheken geregelt ist. Der Vertrag ist am 1. Juli 1995 in Kraft getreten.
Der Kläger ist der Ansicht, mit der Durchführung des Hilfsmittellieferungsvertrages vom 4. Mai 1995 verstießen die den Landesapothekerverbänden angehörenden Apotheker ständig gegen die Vorschrift des § 25 ApBetrO, die die Waren, welche in einer Apotheke neben Arzneimitteln in den Verkehr gebracht werden dürfen, enumerativ nenne. Orthopädietechnische Hilfsmittel gehörten nämlich ganz überwiegend nicht zu den in § 25 ApBetrO aufgeführten Waren.
Ferner verstoße der im Vertrag vorgesehene Vertrieb von Hilfsmitteln durch Apotheken gegen § 126 Nr. 1 SGB V, da deren Inhaber nicht die erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen für die Abgabe orthopädietechnischer Hilfsmittel erfüllten. Den Parteien des Hilfsmittellieferungsvertrages vom 4. Mai 1995 fehle auch die Kompetenz zum Abschluß eines derartigen Vertrages, weil der Vertragsinhalt nicht von den in § 129 Abs. 2 und 3 SGB V enthaltenen Regelungen gedeckt werde.
Der Beklagte habe daher mit dem Abschluß des Vertrages an einem systematischen Verleiten zum Gesetzesbruch mitgewirkt. Er sei deshalb gemäß § 1 UWG verpflichtet, den von ihm mitverursachten rechtswidrigen Zustand durch Aufhebung des Vertrages vom 4. Mai 1995 zu beseitigen.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger, den Beklagten zu verurteilen, den am 4. Mai 1995 geschlossenen Hilfsmittellieferungsvertrag wieder aufzuheben, soweit darin den Apothekern die Möglichkeit eingeräumt wird, an Versicherte der am Vertrag beteiligten Ersatzkassen Hilfsmittel im Sinne von §§ 126 ff. SGB V abzugeben, welche eine behinderten- und therapiegerechte Zurichtung erfordern oder handwerklich individuell angefertigt oder handwerklich zugerichtet werden müssen. Der Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den ordentlichen Gerichten gerügt; er hält die Sozialgerichte für zuständig.
Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit für unzulässig erachtet und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Dortmund verwiesen.
Auf die Sofortige Beschwerde des Klägers hat das Beschwerdegericht diesen Beschluß abgeändert und festgestellt, daß in der Streitsache der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sei.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit seiner zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde. Der Kläger beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige weitere sofortige Beschwerde hat Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, daß der Rechtsstreit als bürgerlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte gehört und daß die spezielle Rechtswegzuweisung nach § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG nicht eingreift. Dazu hat es ausgeführt:
Der bürgerlich-rechtliche Charakter der Rechtsstreitigkeit ergebe sich schon daraus, daß beide Parteien privatrechtliche Verbände seien und als einzige Grundlage für den geltend gemachten Anspruch die dem Zivilrecht zuzurechnenden Vorschriften des Wettbewerbsrechts (UWG) in Betracht kämen. Da es an einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit fehle, scheide der Rechtsweg zu den Sozialgerichten auch nach der Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG aus. Die seit dem 1. Januar 1989 geltende Neufassung des § 51 SGG habe zu keiner sachlichen Änderung der Zuständigkeitsverteilung zwischen den ordentlichen Gerichten und den Sozialgerichten geführt. Es komme nach wie vor entscheidend darauf an, ob eine bürgerlich-rechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliege.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dem Beschwerdegericht ist nicht darin beizutreten, daß auch nach der am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Neufassung des § 51 Abs. 2 SGG nur Streitigkeiten mit einem rein öffentlich-rechtlichen Charakter vor die Sozialgerichte gehören.
a) Die Zuständigkeit der Sozialgerichte ergibt sich im vorliegenden Fall aus § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG (i.d.F. des Art. 32 Nr. 3 des Gesundheitsreformgesetzes – GRG – vom 20. Dezember 1988, BGBl. I 2477). Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem SGB V aufgrund von Entscheidungen oder Verträgen der Krankenkassen oder ihrer Verbände entstehen, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden.
Nach dem Wortlaut des § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht nur für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, sondern auch für solche Rechtsstreitigkeiten eröffnet, die ihren Grund in einem von den Krankenkassen oder ihren Verbänden geschlossenen Vertrag mit privaten nichtärztlichen Leistungserbringern haben. Derartige Leistungsbeschaffungsverträge sind nach den Entscheidungen des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 10. April 1986 (BGHZ 97, 312, 316) und 29. Oktober 1987 (BGHZ 102, 280, 286 f.) privatrechtlicher Natur, weil der öffentlichen Hand bei der Beschaffung von Waren und Leistungen, die sie zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben benötigt, hoheitliche Mittel nicht zu Gebote stehen. Sie muß sich in diesem Bereich vielmehr nach den für jedermann geltenden Bestimmungen, also auf privatrechtlicher Ebene, versorgen (vgl. BGHZ 97, 312, 316). Daraus folgt indes nicht, daß der Rechtsweg zu den Sozialgerichten für sämtliche Rechtsstreitigkeiten gegeben ist, die im Zusammenhang mit einem von den Krankenkassen oder ihren Verbänden abgeschlossenen Beschaffungsvertrag entstehen. Aus dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 24. November 1988 (BT-Drucks. 11/3480) ergibt sich, daß der weit gefaßte Wortlaut des § 51 Abs. 21 Satz 1 Nr. 3 SGG einer inhaltlichen Einschränkung bedarf.
Die in § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGG enthaltenen Regelungen beschränken sich nach dem genannten Bericht auf Maßnahmen, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem SGB V obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen. Damit ist klargestellt, daß sog. fiskalische Hilfsgeschäfte – hierbei handelt es sich um Geschäfte, welche die Krankenkassen als Teilnehmer am allgemeinen Wirtschaftsverkehr abschließen, etwa die Anmietung von Verwaltungsgebäuden oder der Abschluß von Gebäudeunterhaltungsverträgen – von § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG nicht erfaßt werden sollen (vgl. BSG, Beschl. v. 29.9.1994 – 3 BS 2/93, NZS 1995, 142, 143 = NJW 1995, 1575).
b) Die Entscheidung, ob für die streitgegenständliche Klage der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist, hängt daher maßgeblich davon ab, ob das Schwergewicht des Rechtsstreits bei dem Aufgabenbereich anzusiedeln ist, dessen Erfüllung den Krankenkassen unmittelbar aufgrund der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des SGB V obliegt (vgl. BSGE 66, 159, 160 f.; 72, 148, 151 f.).
aa) Der von dem Kläger beanstandete Vertrag zwischen dem Beklagten und den Krankenkassenverbänden regelt bundeseinheitlich die Versorgung der Versicherten der Ersatzkassen mit Hilfsmitteln durch die Apotheken aufgrund vertragsärztlicher Verordnung, aufgrund der von den Ersatzkassen ausgestellten Berechtigungsscheine oder aufgrund sonstiger Bezugsberechtigungen (§ 1 Hilfsmittellieferungsvertrag). Gegenstand des Vertrages ist mithin die Regelung der Beziehungen zwischen den Mitgliedskassen (Ersatzkassen) der am Vertrag beteiligten Krankenkassenverbände und den Leistungserbringern von Heilmitteln nach §§ 126 ff. SGB V.
Die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern von Heil- und Hilfsmitteln sind nach der rechtlichen Ausgestaltung der §§ 124 bis 128 SGB V dem öffentlichen Recht zugewiesen; denn der Abschluß eines solchen Vertrages setzt die Zulassung des jeweiligen Leistungserbringers voraus. Außerdem ist das Verhältnis zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern insoweit durch Rechtssätze des öffentlichen Rechts geprägt (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.1991 – KZR 19/90, WuW/E 2721, 2724 = NJW 1992, 1561, 1562).
bb) Mit seiner Klage erstrebt der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Aufhebung des von ihm am 4. Mai 1995 mit Krankenkassenverbänden geschlossenen Hilfsmittellieferungsvertrages, soweit darin den Apothekern die Möglichkeit eingeräumt wird, an Versicherte Hilfsmittel i.S. von §§ 126 ff. SGB V abzugeben, welche eine behinderten- und therapiegerechte Zurichtung erfordern oder handwerklich individuell angefertigt oder handwerklich zugerichtet werden müssen. Zur Begründung seines Begehrens hat der Kläger hauptsächlich geltend gemacht, der in dem beanstandeten Vertrag vorgesehene Vertrieb von Hilfsmitteln durch Apotheken verstoße gegen § 126 Abs. 1 SGB V, weil deren Inhaber nicht die erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen für die Abgabe orthopädietechnischer Hilfsmittel erfüllten. Der Vertragsinhalt werde zudem nicht von den in § 129 Abs. 2 und 3 SGB V enthaltenen Regelungen gedeckt, so daß den Parteien des Hilfsmittellieferungsvertrages auch die Kompetenz zum Vertragsschluß gefehlt habe. Ferner ist der Kläger der Ansicht, mit der Durchführung des Hilfsmittellieferungsvertrages vom 4. Mai 1995 verstießen die den Landesapothekerverbänden angehörenden Apotheker ständig gegen § 25 ApBetrO.
cc) Hieraus; wird ersichtlich, daß es dem Kläger nicht nur um ein Verbot des Vertriebs einzelner, in § 25 ApBetrO nicht genannter Waren durch Apotheker geht, sondern daß er in erster Linie die teilweise Beseitigung des Hilfsmittellieferungsvertrages vom 4. Mai 1995 erstrebt. Sein Klagebegehren steht damit in einem engen Sachzusammenhang zu der den Ersatzkassen obliegenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, ihr Versicherten mit den erforderlichen Hilfsmitteln zu versorgen, und zu der in den §§ 124 bis 128 SGB V ebenfalls öffentlich-rechtlich ausgestalteten Beziehung der Krankenkassen zu den privaten Leistungserbringern. Für derartige Rechtsstreitigkeiten, die in einem unmittelbaren Sachzusammenhang zu den den Krankenkassen nach dem SGB V obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben stehen – hierzu, gehört nach dem genannten Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auch der Abschluß der im SGB V geregelten Leistungsbeschaffungsverträge mit privaten Leistungserbringern –, ist nach der am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Neufassung des § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
c) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß der Kläger nicht einen Erfüllungsanspruch aus dem Hilfsmittellieferurigsvertrag vom 4. Mai 1995 geltend macht, sondern dessen teilweise Beseitigung – und damit ein Unterlassen der Vertragsdurchführung – erstrebt. Eine Beschränkung des § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG auf vertragliche Erfüllungsansprüche würde dazu führen, daß Erfüllungsansprüche einerseits und Schadensersatz- sowie Unterlassungsansprüche andererseits unterschiedlichen Rechtswegen zugewiesen wären, obwohl derartige Ansprüche in sachlichem Zusammenhang stehen und in der Praxis oft nur schwierig zu unterscheiden sind. Dafür gibt es keinen überzeugenden Grund. Eine Beschränkung des § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGG auf Erfüllungsansprüche läßt sich auch nicht aus dessen Entstehungsgeschichte herleiten. Soweit es in dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 24. November 1988 heißt, daß die Regelungen der Nummern 2 und 3 des § 51 Abs. 2 SGG auf Maßnahmen beschränkt sind, die unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem SGB V obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen, wird in dieser Äußerung nur nach der Art der Maßnahme und nicht nach der Art der aus einer Maßnahme abgeleiteten Ansprüche unterschieden (vgl. BSG NZS 1995, 142, 144 = NJW 1995, 1575).
d) Der Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Sozialgerichten steht ferner nicht entgegen, daß der Kläger sein Klagebegehren nicht nur auf einen – angeblichen – Verstoß des streitgegenständlichen Vertrages gegen § 126 SGB V, § 25 ApBetrO, sondern auch auf eine – seiner Meinung nach gegebene – Verletzung des § 1 UWG gestützt hat. Nach § 17 Abs. 2 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Das bedeutet, daß das für eine Anspruchsgrundlage zuständige Gericht auch über solche Anspruchsgrundlagen entscheidet, die für sich allein die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit begründen würden (vgl. BGH, Beschl. v. 18.5.1995 – I ZB 22/94, NJW 1995, 2295, 2296 – Remailing I; BSG NZS 1995, 142, 144 = NJW 1995, 1575, 1576).
e) Der Annahme, daß im Streitfall der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist, steht schließlich auch nicht entgegen, daß der Bundesgerichtshof in zwei Urteilen vom 12. März 1991 (BGHZ 114, 218) und 25. Juni 1991 (WuW/E 2721 = NJW 1992, 1561) nach der Änderung des § 51 Abs. 2 Satz 1 SGG für Rechtsstreitigkeiten von Leistungserbringern mit Krankenkassen bzw. deren Verbänden den Rechtsweg zu den Zivilgerichten bejaht hat. In beiden Entscheidungen ist maßgeblich darauf abgestellt worden, daß es sich in den dortigen Fällen um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten mit kartellrechtlichem Streitgegenstand gehandelt hat, die gemäß § 87 Abs. 1 GWB der ausschließlichen Zuständigkeit der Zivilgerichte zugewiesen sind.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, Mees, Ullmann, Starck, Pokrant
Fundstellen
NJW 1998, 825 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1998, 237 |
SozSi 1998, 318 |