Leitsatz (amtlich)

1. "Löschung" im Sinn von § 84 Abs. 2 SGB X ist auch die Entfernung von schriftlichen Datenträgern aus Verwaltungsakten sowie deren anschließende Vernichtung oder Rücksendung an den Betroffenen.

2. Die Aufbewahrung von schriftlichen Datenträgern in Verwaltungsakten ist eine Form der Datenspeicherung.

3. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB X erfasst auch das nachträgliche "Unzulässigwerden" einer Speicherung.

4. Auch zunächst freiwillig übersandte Daten dürfen dann, wenn das Einverständnis des Betroffenen mit der Speicherung weggefallen ist, nur weiter gespeichert bleiben, wenn dies "erforderlich" ist.

5. Auch die Führung von Verwaltungsakten muss sich an den Regelungen des Datenschutzrechts messen lassen.

6. Zum Erfordernis der Vollständigkeit von Schwerbehindertenakten.

7. Zur Determinierung der Aktenführung durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im weiteren Sinn betrifft der Rechtsstreit eine Angelegenheit aus dem Schwerbehindertenrecht. Konkret begehrt der Kläger, dass eine von ihm selbst vorgelegte schriftliche Äußerung eines behandelnden Arztes aus den Verwaltungsakten des Beklagten entfernt wird.

Mit Bescheid vom 01.07.1999 war für den Kläger ein Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht (GdB) von 70 festgestellt worden. Am 08.09.2000 beantragte er einen höheren GdB. Er legte dem Antrag ein neurologisch-psychiatrisches Privatgutachten des Dr. F., Nervenklinik G., vom 22.10.1998 bei. Dieses war in Zusammenhang mit einem unfallversicherungsrechtlichen Verfahren eingeholt worden. Den Neufeststellungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12.10.2000 ab. Der Kläger erhob Widerspruch und berief sich in der Begründung auf das Gutachten des Dr. F.. In einem daraufhin erstellten versorgungsärztlichen Gutachten vom 30.04.2001 diskutierte die Neurologin und Psychiaterin Dr. A. das Privatgutachten des Dr. F., verneinte aber dessen unmittelbare Relevanz, weil es sich um Äußerungen zum Unfallversicherungsrecht handeln würde. In weiteren Schreiben des Klägers (vom 18.11.2000, 29.08.2001 und 23.10.2001), die noch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ergingen, bezog sich dieser erneut auf das Gutachten des Dr. F. und rügte, dessen Testergebnisse seien vom Beklagten nicht berücksichtigt worden. Im zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 16.11.2001 wurde ebenfalls auf die Äußerungen des Dr. F. eingegangen.

Mit Schreiben vom 31.12.2001 bat der Kläger um Vernichtung des von Dr. F. erstellten Privatgutachtens, weil es bisher nicht bei der Feststellung des GdB berücksichtigt worden sei. Das Gutachten blieb zunächst jedoch in den Akten. Mit Schreiben vom 17.02.2004 beantragte der Kläger die Rückübersendung oder Vernichtung des Gutachtens und bezog sich dabei auf das Schreiben vom 31.12.2001. Mit Bescheid vom 12.03.2004 lehnte es der Beklagte ab, das Gutachten des Dr. F. aus der Schwerbehindertenakte zu entfernen. Die Voraussetzungen für einen Löschungsanspruch nach § 84 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X), so der Beklagte zur Begründung, lägen nicht vor, so dass das Gutachten weiterhin nach § 67c SGB X "gespeichert" werden dürfe. Er wies darauf hin, das Gutachten des Dr. F. enthalte Angaben zu Anamnesen, Medikationen, Befunden, Diagnosen etc., die durchaus in die Meinungsbildung eingeflossen seien und für das nervenärztliche Untersuchungsergebnis sowie die Bescheiderteilung mitursächlich gewesen seien. Die weitere Speicherung des Gutachtens in der Schwerbehindertenakte sei daher unter anderem zur Sicherstellung der internen und externen Überprüfbarkeit der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des damaligen Amts für Versorgung und Familienförderung M. erforderlich. Das werde nicht zuletzt aus dem jüngsten Antrag des Klägers deutlich, den GdB rückwirkend zum 01.01.1991 höher festzustellen. Am 25.03.2004 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2005 wies der Beklagte diesen zurück, wobei er sich wegen der Begründung auf den Ausgangsbescheid bezog.

Mit Bescheid vom 26.10.2004 war auf einen Antrag vom 27.12.2003 hin rückwirkend für den Zeitraum 01.01.1991 bis 31.10.1997 ein GdB von 60 festgestellt worden.

Am 25.02.2005 hat der Kläger beim Sozialgericht München Klage erhoben mit dem Ziel, dass das Privatgutachten aus den Verwaltungsakten entfernt werde. Er hat dies damit begründet, er sei in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt; denn er könne selbst bestimmen, wem, wann, unter welchen Umständen und wie lange er seine persönlichen Daten offenbare.

Mit Urteil vom 23.02.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, mit der Übersendung des Gutachtens durch den Kläger sei dieses zunächst rechtmäßiger Bestandteil der Schwerbehindertenakte geworden. Sein Verbleib bei den Akten sei wei...

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