Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung: Tanken während einer versicherten Fahrt als versicherte Tätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Im Einklang mit der älteren BSG-Rechtsprechung ist anzuerkennen, dass das Tanken während einer versicherten Fahrt ausnahmsweise versichert sein kann, wenn die Notwendigkeit zu tanken unvorhersehbar eintritt. Diese Rechtsprechung ist jedoch dahingehend einschränkend weiterzuentwickeln, dass die Unvorhersehbarkeit der Notwendigkeit zu tanken nicht auf Gründen beruhen darf, die in der privaten unversicherten Sphäre des Versicherten wurzeln.

 

Orientierungssatz

Zitierungen: Vergleiche BSG, 30. Januar 1968, 2 RU 51/65, BSG, 24. Mai 1984, 2 RU 3/83

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.09.2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Unfall der Klägerin vom 11.10.2012 als Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) zu werten ist.

Die 1961 geborene Klägerin ist seit 1988 als Verwaltungsangestellte im Büro des Landrates am Landratsamt B-Stadt beschäftigt.

Am 11.10.2012 um 7:15 Uhr ereignete sich der streitgegenständliche Unfall. Die Klägerin befand sich mit dem Auto auf dem Weg von ihrem Wohnort in A-Stadt zum Landratsamt in B-Stadt. Die Gesamtstrecke von ihrem Wohnort zum Landratsamt hat nach Google Maps eine Länge von 18,5 km. Nach einer Teilstrecke von 17,3 km, also noch 1,2 km vor Erreichen ihres Zieles, wollte die Klägerin an der N- Straße 10 nach links abbiegen, um an der OMV-Tankstelle zu tanken. Sie setzte den Blinker links und hielt an, um den entgegenkommenden Verkehr abzuwarten. Während sie noch in der ursprünglichen Fahrtrichtung an der Straßenmitte stand, um eine Gelegenheit zum Abbiegen abzuwarten, fuhr ihr von hinten ein nachfolgender Lieferwagen, Marke Mercedes Sprinter, auf ihr Auto auf. Die Polizei ging von einem Alleinverschulden des rumänischen Fahrers des Lieferwagens aus, der aus Unachtsamkeit aufgefahren war.

Die Klägerin tankte dann und arbeitete am Unfalltag. Am Folgetag begab sie sich am Morgen zum D-Arzt, der eine HWS-Distorsion sowie eine Prellung der BWS und LWS diagnostizierte und sie bis zum 21.10.2012 krankschrieb. Am 22.10.2012 nahm die Klägerin ihre Arbeit wieder auf.

Am 05.11.2012 wurde eine MRT der HWS angefertigt.

Mit Bescheid vom 09.10.2013 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an. Gleichzeitig bewilligte sie eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v.H. für die Zeit vom 29.12.2012 bis auf Weiteres.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 29.10.2013 Widerspruch ein mit dem Antrag, der Klägerin eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von mindestens 40 v.H. zu bewilligen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2014 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.10.2013 als unbegründet zurück. In der Begründung führte die Beklagte aus, dass die Folgen des Unfalls vom 11.10.2012 in dem angefochtenen Bescheid zutreffend beschrieben und bewertet worden seien.

Am 20.02.2014 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht (SG) Augsburg Klage erhoben.

Während des Klageverfahrens hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 14.07.2015 zur beabsichtigten Rücknahme des Bescheides vom 09.10.2013 an. Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei der Unfall nicht mehr als versicherter Wegeunfall anzusehen, da er geschehen sei, nachdem die Klägerin durch Einleitung des Abbiegens zur Tankstelle und Verlangsamung des Fahrzeugs sowie Setzen des Blinkers die Änderung der Handlungstendenz manifestiert habe.

Mit Anwaltsschreiben vom 10.08.2015 nahm die Klägerin hierzu wie folgt Stellung: Sie habe sich am Unfalltag auf dem Weg zur Arbeit befunden. Den von ihr benutzten Pkw habe ihr Ehemann am Abend vorher in Gebrauch gehabt. Der Ehemann sei mit fast leerem Tank nach Hause zurückgekehrt und habe nicht mehr tanken können, da es in A-Stadt nur eine Tankstelle gebe, die um 21:00 Uhr schließe. Als die Klägerin am Unfalltag losfuhr, habe die Tankanzeige bereits geleuchtet, und die Restanzeige habe lediglich noch einen Fahrweg von 10 km angezeigt. Deshalb habe die Klägerin zunächst in A-Stadt tanken wollen. Die dortige Tankstelle hätte aber erst um 7:00 Uhr geöffnet, sodass die Klägerin bis B-Stadt habe weiterfahren müssen, um dort zu tanken. Sie habe aber in B-Stadt umgehend tanken müssen, weil sie jeden Moment damit rechnen musste, dass der Tank leer wurde. Im Normalfall tanke sie grundsätzlich abends, weil das Benzin dann immer günstiger sei und sie in der Früh auch meistens keine Zeit habe. Das Tanken am Morgen gehöre nicht zu ihren Gewohnheiten, sei jedoch ausnahmsweise erforderlich gewesen, da der Ehemann das Auto am Vortag benutzt und mit fast leerem Tank abgestellt habe.

Das SG hat ein Gutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 23.07.2014 eingeholt, der unfallbedingt eine MdE von 20 v.H...

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