Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Umwelt- bzw Abwrackprämie. zweckbestimmte Einnahme. Nachweis der zweckentsprechenden Verwendung. Vermögensberücksichtigung. Überschreitung der Angemessenheitsgrenze für Kfz. Anwendung des freibleibenden Grundfreibetrages nach § 12 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 2

 

Leitsatz (amtlich)

Im einstweiligen Rechtsschutz ist die Umweltprämie (sog Abwrackprämie) als zweckbestimmte Einnahme nicht als Einkommen auf Arbeitslosengeld II anzurechnen, wenn die zweckentsprechende Verwendung der Prämie für den Erwerb eines neuen PKW nachgewiesen wird. Die endgültige Überprüfung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

 

Orientierungssatz

Überschreitet das neu angeschaffte Kraftfahrzeug die Angemessenheitsgrenze iS des § 12 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 2, so ist der freibleibende Grundfreibetrag des § 12 Abs 2 S 1 Nr 1 SGB 2 vom Vermögen abzusetzen.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts … vom 17. November 2009 aufgehoben und die Beschwerdegegnerin vorläufig verpflichtet, der Beschwerdeführerin ab 1. Dezember 2009 bis 30. April 2010, höchstens jedoch bis zur Bestandskraft der Hauptsacheentscheidung, Arbeitslosengeld II zu gewähren, ohne die Umweltprämie als Einkommen anzurechnen.

II. Die Beschwerdegegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob die Umweltprämie (sog. Abwrackprämie) in Höhe von 2.500,- Euro für den Erwerb eines neuen Autos auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als Einkommen anzurechnen ist oder ob es sich um eine nicht zu berücksichtigende zweckbestimmte Einnahme handelt.

Die im Jahr 1951 geborene Beschwerdeführerin bezieht seit längerem Arbeitslosengeld II von der Beschwerdegegnerin. Im Februar 2009 schloss die Beschwerdeführerin einen Kaufvertrag mit einem Autohaus über die Lieferung eines Pkw im Wert von 9.000,- Euro. Im September 2009 wurde der Beschwerdegegnerin der Autokauf bekannt.

Mit Bescheid vom 28.10.2009 bewilligte die Beschwerdegegnerin Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.11.2009 bis 30.04.2010 in Höhe von monatlich 249,84 Euro. Auf den Bedarf von 666,50 Euro (359,- Euro Regelleistung und 307,50 Euro Kosten der Unterkunft) wurde die Umweltprämie als einmalige Einnahme angerechnet. Dabei wurde der Gesamtbetrag von 2.500,- Euro mit jeweils 416,66 Euro auf sechs Monate verteilt. Gegen den Bescheid wurde Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist.

Im November 2009 wurde die Umweltprämie direkt an das Autohaus ausbezahlt.

Am 02.11.2009 stellte die Beschwerdeführerin bei Sozialgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Sie verfüge nicht über Ersparnisse, um den Lebensunterhalt und die Mietzahlungen sicherzustellen. Die Abwrackprämie sei nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Mit Beschluss vom 17.11.2009 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die Umweltprämie sei eine als Einkommen anzurechnende einmalige Einnahme. Durch die Umweltprämie werde aus wirtschafts- und umweltpolitischen Gründen eine private Konsumentscheidung (Kauf eines Autos) nachträglich mit 2.500,- Euro prämiert. Dieser Betrag stehe grundsätzlich zur freien Verfügung. Es fehle daher an einer strikten Zweckgebundenheit. Durch die direkte Auszahlung an das Autohaus sei die Beschwerdeführerin von einer Darlehensverbindlichkeit befreit worden und habe insoweit einen geldwerten Vorteil erlangt. Außerdem werde die Lage des Empfängers durch die Zahlung der 2.500,- Euro so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären. Die Aufteilung auf sechs Monate entspreche den Vorgaben der Arbeitslosengeld II-Verordnung.

Am 02.12.2009 hat die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Eine Anrechnung der Umweltprämie würde Empfänger von Arbeitslosengeld II vom Bezug der Umweltprämie ausschließen. Dies entspreche nicht dem gesetzgeberischen Willen. Durch den Erwerb eines PKW werde die Mobilität und damit Möglichkeit der Arbeitsaufnahme verbessert.

Die Beschwerdeführerin beantragt,

die Beschwerdegegnerin unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts vom 17.11.2009 vorläufig zu verpflichten, der Beschwerdeführerin ab November 2009 Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung der Abwrackprämie zu gewähren.

Der Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beschwerdegegnerin, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des LSG verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Im einstweiligen Rechtsschutz kann die Umweltprämie hier nicht als anrechenbares Einkommen vom Anspruch der Beschwerdeführerin auf existenzsichernde Leistungen abgezogen werden.

Da die Beschwerdeführerin eine Erweiterung ihrer Rechtsposition anstrebt, ist eine einstweil...

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