Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagerücknahme. Anfechtung. Widerruf. Restitutionsgrund

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine prozessuale Erklärung (hier: Klagerücknahme) kann nicht nach den §§ 119 ff. BGB angefochten werden.

 

Normenkette

ZPO § 580

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Berufung des Klägers L 3 U 322/06 zurückgenommen wurde.

II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 09.10.2006 in der mündlichen Verhandlung des 3. Senats des Bayer. Landessozialgerichts am 28.11.2007 zurückgenommen wurde.

Mit Urteil vom 09.10.2006 wies das Sozialgericht Augsburg die Klage des Klägers mit dem Ziel, eine Berufskrankheit aufgrund seiner Tätigkeit als Chemiearbeiter in einem Elektroschmelzwerk anzuerkennen, ab. Die hiergegen eingelegte Berufung nahm der Bevollmächtigte des Klägers mit dessen Einverständnis in der mündlichen Verhandlung des Bayer. Landessozialgerichts am 28.11.2007 nach einer Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zurück.

Mit Schreiben vom 15.01.2008 erklärte der Kläger hinsichtlich der Klagerücknahme vom 28.11.2007 die Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und wegen Täuschung und Drohung nach § 123 BGB. Ohne seine Unterschrift gebe es weder einen Vergleich noch eine Klagerücknahme (Bl.64 LSG-Akte). Er trug insbesondere vor, sein Rechtsanwalt W. sei "geschmiert" (Schreiben vom 10.03.2008). Mit Schreiben vom 05.03.2008 wies der Senat darauf hin, dass ein Anfechtungsgrund nicht vorliege und deshalb eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs.4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beabsichtigt sei, wenn die Anfechtung nicht zurückgenommen werde. Frist zur Stellungnahme wurde bis 04.04.2008 eingeräumt.

Der Kläger teilte am 10.03.2008 telefonisch mit, dass er seinen Antrag nicht zurücknehme und durch Beschluss entschieden werden solle.

Der Kläger beantragt,

das Berufungsverfahren L 3 U 322/06 fortzuführen, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 09.10.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23.09.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.02.2000 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

festzustellen, dass der Rechtsstreit durch die Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten jeweils mit Schriftsatz vom 05.03.2008 zur beabsichtigten Zurückweisung des Antrags als unbegründet angehört wurden, eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist und die Senatsmitglieder die Berufung einstimmig für unbegründet halten (§ 153 Abs.4 SGG).

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 09.07.2006 ist durch die Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung am 28.11.2007 formwirksam und endgültig beendet worden. Diese Berufungsrücknahme ist eine Prozesserklärung, die nur unter eingeschränkten Voraussetzungen unwirksam sein kann (vgl. Pawlak in Hennig, SGG, § 102 Rdnr.34). Eine Anfechtung einer Prozesserklärung entsprechend den zivilrechtlichen Regelungen des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 119 ff. BGB) ist nicht möglich (z.B. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, vor § 60 Rdnr.12). Damit ist die Anfechtungserklärung des Klägers rechtlich unwirksam.

Eine Auslegung der Erklärung des Klägers als Widerruf kann nur dann erfolgreich sein, wenn ein Restitutionsgrund (§ 580 Zivilprozessordnung - ZPO -) vorliegt. Einen solchen, z.B. Meineid oder Urkundenfälschung, vermag der Senat nicht zu erkennen. Auch einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. Keller in a.a.O.Rdnr.12a) vermag der Senat nicht zu erkennen.

Im Übrigen irrt der Kläger mit seiner Annahme, Prozesserklärungen und Vergleiche bedürften, um rechtswirksam zu sein, einer Unterschrift. Prozesserklärungen können vielmehr zu Protokoll des Gerichts abgegeben werden.

Im Ergebnis ist die Berufungsrücknahme in der mündlichen Verhandlung am 28.11.2007 also wirksam. Der Senat musste feststellen, dass das Berufungsverfahren durch Rücknahme endete.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2136400

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