Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Betriebsprüfung. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen eine Beitragsnachforderung wegen unbilliger Härte im Zusammenhang mit Auswirkungen von Maßnahmen zur Bekämpfung des neuen Coronavirus

 

Leitsatz (amtlich)

Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte kann vorliegen, wenn ein Unternehmer glaubhaft machen kann, allein aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung des neuen Coronavirus und nach Nutzung eigener finanzieller Möglichkeiten seine Zahlungsunfähigkeit bis zum Ende der seinen Betrieb einschränkenden Maßnahmen nur noch mit einer Erstattung bereits bezahlter, noch nicht bestandskräftiger Beitragsnachforderungen abwenden zu können.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 7. April 2020 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Dezember 2019 angeordnet.

II. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, die Rückzahlung der auf den Bescheid vom 4. Dezember 2019 bereits bezahlten Beitragsnachforderung iHv 7 689,28 Euro an die Antragstellerin zu veranlassen.

III. Die Antragsgegnerin erstattet die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

IV. Der Streitwert wird auf 1 922,32 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Streitig ist im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Beitragsnachforderung iHv 7 689,22 € sowie deren Aufhebung der Vollziehung aufgrund einer nachträglich eingetretenen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (in der Folge: Antragstellerin).

Die Antragstellerin betreibt ein Fitnessstudio mit Filialen. Dabei arbeitete sie in den Jahren 2017 und 2018 mit C. F. (in der Folge: F) zusammen, der selbst ein kleines Fitnessstudio betreibt. Die Tätigkeit des F betraf die "Durchführung eines funktionellen Trainingskonzepts" bzw die eines Fitnesstrainers für Kleingruppentraining. Zu der Zusammenarbeit gab es nach den Angaben der Antragstellerin neben dem aktenkundigen schriftlichen Vertrag eine mündliche Kooperationsvereinbarung. Nachdem die Antragstellerin und F von einer selbstständigen Tätigkeit des F ausgingen, erfolgte keine Verbeitragung der Zahlungen der Antragstellerin zur Sozialversicherung.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung kam die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (in der Folge: Antragsgegnerin) hingegen zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Tätigkeit des F für die Antragstellerin um eine abhängige Beschäftigung handelte und forderte Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung iHv insgesamt 7 689,28 € nach (Bescheid vom 4.12.2019). Die Nachforderung wurde aufgrund einer Einzugsermächtigung, die der zuständigen Einzugsstelle eingeräumt war, vom Konto der Antragstellerin eingezogen und ist derzeit beglichen. Über den von der Antragstellerin rechtzeitig erhobenen Widerspruch ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden worden.

Sowohl die Anträge der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung nach § 86a SGG als auch der beim Sozialgericht München erhobene Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz blieben ohne Erfolg. Das Sozialgericht vermochte iR seiner summarischen Prüfung sowohl Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses als auch Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit vorzufinden. Insgesamt seien die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen zu bezeichnen, so dass eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht komme. Die Antragstellerin habe auch eine unbillige Härte nicht glaubhaft gemacht. Hierfür könnte nicht berücksichtigt werden, dass es aufgrund der Corona-Krise (derzeit) zu Liquiditätsengpässen bei der Antragstellerin komme. Solche seien schließlich bislang bei der Antragstellerin nicht ersichtlich. Darüber hinaus seien sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene Sofortprogramme aufgelegt worden, durch die Liquiditätsengpässe zu überbrücken seien (Beschluss vom 7.4.2020).

Mit ihrer hiergegen erhobenen Beschwerde möchte die Antragstellerin neben der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Beitragsnachforderung die Aufhebung der Vollziehung erreichen. Das Sozialgericht habe mit seiner Entscheidung in offener Stellungnahmefrist ihr rechtliches Gehör verletzt und darüber hinaus die im Rahmen des § 86b SGG bestehenden Möglichkeiten zu eng definiert. Es sei die konkrete rechtliche und wirtschaftliche Situation zu berücksichtigen. Auch bei der Prüfung des Vorliegens einer unbilligen Härte habe das Sozialgericht die Latte zu hochgelegt. Das Außervollzugsinteresse der Antragstellerin sei in der konkreten und aktuellen Situation abzuwägen. Es sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin grds ein "gesundes" Unternehmen betreibe. Durch die Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsregierung seien sämtliche Filialen der Antragstellerin seit Mitte März geschlossen...

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