1.1 Rechtsanspruch

Ein Rechtsanspruch auf Akteneinsicht besteht nur, wenn ein Verwaltungsverfahren läuft. Verwaltungsverfahren ist das Verfahren einer Behörde, das auf den Erlass eines Verwaltungsakts oder Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist.[1]

Ein Verwaltungsakt liegt in der Jugendhilfe dann vor, wenn das Jugendamt/Landesjugendamt einen Einzelfall auf dem Gebiet des SGB VIII regelt und zwar so, dass die Regelung Außenwirkung hat[2]; d. h. sie richtet sich unmittelbar an den Bürger.

Auch das Widerspruchsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren. Für das gerichtliche Verfahren ist die Akteneinsicht in Jugendhilfesachen in § 100 VwGO, in Familiensachen in § 13 FamFG geregelt. Nach Bestandskraft des Verwaltungsakts beginnt ein neues Verwaltungsverfahren, wenn die Aufhebung des Verwaltungsakts nach den §§ 44 bis 48 SGB X verlangt wird.

1.2 Ermessen des Jugendamts

Oftmals ist die Tätigkeit des Jugendamts nicht auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet, sondern auf sog. schlichtes (hoheitliches) Handeln. Dies ist der Fall, wenn das Jugendamt z. B.

  • Familiengerichtshilfe[1] nach § 50 SGB VIII leistet oder
  • beratend tätig wird oder
  • eine Gefährdungseinschätzung im Rahmen des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII vornimmt.

Außerhalb eines Verwaltungsverfahrens kann das Jugendamt Akteneinsicht nach Ermessen gewähren. Das Ermessen ist entsprechend § 39 SGB I auszuüben.

[1] VG Hannover, Beschluss v. 10.3.2015, 10 B 1268/15.

1.3 Beteiligte

Die Akteneinsicht ist nur den Beteiligten zu gewähren. Beteiligte sind der Antragsteller oder Adressat des Verwaltungsakts.[1] Sie können sich durch Bevollmächtigte vertreten lassen, nicht aber durch einen Beistand.[2]

1.4 Geheimhaltungsinteressen

In jedem Fall wird die Akteneinsicht durch berechtigte Geheimhaltungsinteressen begrenzt. Dies gilt auch für Akteneinsicht nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Länder.[1] Solche ergeben sich aus dem Sozialgeheimnis und dem Weitergabeverbot.[2] Die personenbezogenen Daten Dritter müssen daher bei der Akteneinsicht geschützt werden. Dies kann durch Schwärzen oder Herausnahme ihrer Daten geschehen.[3]

Die Geheimhaltungsinteressen sind z. B. bei einem Hinweis eines Informanten auf eine Kindesmisshandlung dann berechtigt, wenn der Hinweis nicht denunziatorisch ist.[4]

Zu Unrecht folgert die Rechtsprechung dies aus § 65 SGB VIII, der aber ein Anvertrauen im Rahmen einer erzieherischen Hilfe voraussetzt, also bei einer Behördeninformation nicht vorliegt. Im Ergebnis aber kann der Rechtsprechung gefolgt werden, da keine Übermittlungsbefugnis nach §§ 68, 69 SGB X besteht.

Auch Informationen im Rahmen der Mitwirkung des Jugendamts in familiengerichtlichen Verfahren fallen unter diese Sperre.[5]

[4] OVG Saarland, Beschluss v. 29.10.2021, 2 D 223/21; Bay. VGH, Beschluss v. 27.4.2020, 12 S 579/20; Beschluss v. 1.6.2011, 12 C10.1510; VG Bremen, Beschluss v. 28.4.2021, 4 V 72/21; VG Aachen, Beschluss v. 9.9.2008, 2 K 213/06; VG München, Urteil v. 14.9.2016, M 18 K 15.1795; VG Augsburg, Beschluss v. 12.1.2016, Au 3 K 15.402, auch bei denunziatorischem Hinweis keine Akteneinsicht.
[5] VG Würzburg, Urteil v. 26.1.2017, W 3 K 16.885.

1.5 Gegenstand

Gegenstand der Akteneinsicht sind alle Akten, die das Verfahren betreffen. Dazu zählen auch Nebenakten, der Hilfeplan und die psychosoziale Diagnose. Nicht dazu gehören Vorarbeiten und Entwürfe z. B. von Praktikanten oder Referendaren.[1]

1.6 Ort/Kosten

Die Akteneinsicht ist beim Jugendamt selbst zu gewähren oder bei einer anderen Behörde.[1] Es steht im Ermessen des Jugendamts, die Akten einem Anwalt zuzuschicken. § 84a SGG, der die Anwendung von § 25 Abs. 4 SGB X im Vorverfahren ausschließt, gilt nicht für Jugendhilfeangelegenheiten nach der VwGO und ist auch nicht analog anzuwenden.

Die Beteiligten können die Akten kopieren, allerdings auf eigene Kosten.[2] Gebühren können nicht erhoben werden.[3]

1.7 Verletzung des Einsichtsrechts

Die Verletzung des Akteneinsichtsrechts macht den darauf folgenden Verwaltungsakt (schlicht) rechtswidrig ohne Heilungsmöglichkeit nach § 41 SGB X. Der Fehler ist beachtlich nach § 42 SGB X. Widerspruch und Klage wegen dieses Verfahrensfehlers können aber nur zusammen mit dem Rechtsbehelf gegen die Sachentscheidung erhoben werden.[1]

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