Business Judgment Rule bei mangelhafter Informationsgrundlage

Die Business Judgment Rule zum Handeln von Vorstand bzw. Aufsichtsrat bei unternehmerischen Entscheidungen lässt sich nicht umdrehen: Eine inhaltlich nicht zu beanstandende Entscheidung ist auch dann wirksam, wenn sie nicht auf Grundlage angemessener Informationen gefällt wurde.

Das OLG München hatte sich Anfang des Jahres 2017 mit einer für das Aktienrecht eher untypischen Konstellation zu befassen.

Hintergrund

Der Aufsichtsrat einer kleinen Aktiengesellschaft musste eilig einen neuen Vorstand bestellen, nachdem der alte Vorstand – der Sohn des Aufsichtsratsvorsitzenden – u. A. wegen Marktmanipulation verurteilt worden war.

Der Aufsichtsrat bestellte daraufhin mit drei zu drei Stimmen einen neuen (Interims-)Vorstand, wobei die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden die Stimmengleichheit entschied.

Weiter stimmte der Aufsichtsrat einem Beratervertrag mit einer anderen Gesellschaft zu, durch den u. A. auch die Vergütung des neuen Vorstands abgegolten sein sollte.

Ein überstimmtes Mitglied des Aufsichtsrats setze sich gerichtlich gegen die Beschlüsse zur Wehr. Zur Begründung brachte der Kläger vor,

  • die Bestellung des neuen Vorstands sei nichtig, da der Aufsichtsrat vor der Entscheidung nicht hinreichend über die berufliche Qualifikation der Kandidatin aufgeklärt worden sei.
  • Die Zustimmung zum Abschluss des Beratervertrags sei nichtig, weil nicht klar aufgeschlüsselt sei, wie sich die pauschale Vergütung auf welche Tätigkeit konkret aufteile.

Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens erläuterte die beklagte Aktiengesellschaft, die Vorstandskandidatin kenne sich als Diplom-Juristin mit Verwaltungsangelegenheiten aus. Weiter wies die Beklagte darauf hin, dass in den EUR 180.000 der vertraglichen Gegenleistung für den Beratervertrag EUR 90.000 für die Vergütung des Vorstands erhalten seien.

Das Urteil des OLG München

Das OLG München (Urteil v. 12. 1. 2017, 23 U 3582/16) entschied, dass die Bestellung des Vorstands wirksam war. Der Aufsichtsrat hat bei der Entscheidung für einen Kandidaten einen weiten Ermessensspielraum; eine besondere Qualifikation für den Vorstand ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Als Diplom-Juristin besaß die Kandidatin einen ausreichend breiten Überblick über vorstandsrelevante Themengebiete und war damit für den Vorstandsposten grundsätzlich geeignet.

Dass ihre Bestellung, also eine im Ergebnis richtige Entscheidung, aufgrund einer mangelhaften Informationsbasis erfolgte, ist irrelevant.

Dem vom Kläger angeregten Umkehrschluss aus der auch für den Aufsichtsrat geltenden Business Judgment Rule folgte das Gericht nicht. Die Zustimmung des Aufsichtsrats zum Abschluss des Beratervertrags kassierte das Gericht hingegen:

Der Aufsichtsrat kann einem Vertrag, der wenigstens zum Teil die Vergütung eines Vorstandsmitglieds betrifft und der vom Vorstand selbst unterzeichnet werden soll, nie zustimmen.

Denn für den Abschluss derartiger Verträge ist nur der Aufsichtsrat selbst zuständig. Er muss solche Verträge im Namen der Gesellschaft unterzeichnen, der Vorstand kann die Gesellschaft dementsprechend nicht vertreten.

Anmerkung

Die Entscheidung des OLG München überzeugt. Vorstand und Aufsichtsrat tragen für die Aktionäre und deren Vermögensanteil an der Gesellschaft Verantwortung; treffen die Gesellschaftsorgane (unternehmerische) Fehlentscheidungen, treffen deren Auswirkungen die Aktionäre. Bei unvertretbaren Entscheidungen müssen die Organe der Gesellschaft (und damit indirekt den Aktionären) den Schaden ausgleichen.

Damit aber nicht jeder unternehmerische Fehlschlag zur Haftung führt, bestimmt das Aktiengesetz, dass eine Haftung dann nicht in Betracht kommt, wenn der Vorstand bzw. Aufsichtsrat bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

Diese Regelung wird (wegen ihrer US-amerikanischen Herkunft) als „Business Judgment Rule“ bezeichnet. Der ihr zugrunde liegende Gedanke lässt sich allerdings nicht umdrehen. Bei einer Fehlentscheidung können sich die Gesellschaftsorgane entlasten, indem sie auf eine ausreichende Abwägung im Vorhinein verweisen. Für eine sachlich richtige Entscheidung müssen sie sich aber auch dann nicht rechtfertigen, wenn die Entscheidung ein „Glückstreffer“ ohne vorherige Befassung mit der Materie war. Es fehlt dann auch schlicht am Schaden für die Gesellschaft und deren Aktionäre – denen es freilich unbenommen bleibt, aus derartig nachlässiger Gremienarbeit personelle Konsequenzen zu ziehen.

Auch der zweite Teil der Entscheidung gibt keinen Anlass zu Kritik. Der Aufsichtsrat ist für die Bestellung des Vorstands und damit auch für dessen Anstellung zuständig. Nur so kann der Aufsichtsrat eine Selbstbedienung des Vorstands verhindern und überwachen, dass sich dessen Vergütung in einem angemessen Verhältnis zu Aufgaben und Leistungen hält. So steht es auch recht unzweideutig im Gesetz.

In der Sache enthält die Entscheidung also wenig Überraschendes; sowohl die Reichweite der Business Judgment Rule als auch die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Anstellung des Vorstands sind nicht umstritten und gehören zum kleinen aktienrechtlichen Einmaleins. Umso erstaunlicher also, dass weder der Kläger noch die Beklagte (bzw. deren Parteivertreter) in ihrem umfangreichen rechtlichen Vortrag dem Gericht die richtigen Argumente soufflieren konnten.

Rechtsanwälte Dr. Barbara Mayer, Dr. Jan Barth, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg

Schlagworte zum Thema:  Aktiengesellschaft, Haftung, Vorstand