Ein- und Aussteigen im verkehrsberuhigten Bereich

Wer in einem verkehrsberuhigten Bereich aus seinem Fahrzeug ein- oder aussteigt, muss genauso auf überholende Fahrzeuge oder Gegenverkehr achten wie in einer nicht verkehrsberuhigten Zone. Die geringe zulässige Höchstgeschwindigkeit ist kein Freifahrtschein für Unachtsamkeit.

Ein Taxifahrer hatte in einer Einbahnstraße, die als verkehrsberuhigter Bereich ausgezeichnet war, am rechten Straßenrand an einer verengten Stelle – links parkten Autos – angehalten. Als er aussteigen wollte, ohne dabei nach hinten zu sehen, kollidierte die Fahrerin eines Renault, die mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h fuhr, mit der geöffneten Tür des Taxis. Vor Gericht musste die Frage nach dem Schadensersatz geklärt werden.

Der Taxifahrer sah eine Mitschuld der Renault-Fahrerin und hatte argumentiert, dass links neben dem Taxi noch genügend Platz gewesen sei, damit die Frau sein Fahrzeug gefahrlos hätte passieren können. Zudem sei die Tür des Taxis schon geöffnet gewesen, bevor die Renault-Fahrerin mit der Tür seines Fahrzeugs kollidiert sei.

Öffnen der Autotür, ohne auf den Verkehr zu achten, ist ein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten

Das Amtsgericht hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen und die Haftung ausschließlich beim Taxifahrer gesehen. Dieser habe gegen die Sorgfaltspflichten gemäß § 14 Abs. 1 StVO verstoßen und den Unfall allein verschuldet. Die Betriebsgefahr des Renault trete hinter den Sorgfaltsverstoß des beklagten Taxifahrers zurück.

Das Landgericht Saarbrücken kam bei der Frage der Haftungsverteilung zu einem anderen Ergebnis. Das Gericht bestätigte zwar, dass der Taxifahrer die an ihn gerichteten Sorgfaltsanforderungen schuldhaft verletzt habe, indem er die Tür seines Fahrzeugs an der verengten Stelle geöffnet habe, ohne auf einen möglichen Verkehr zu achten. Er haftet damit aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 StVO.

Ein Meter Mindestabstand beim Überholen kann in Einzelfällen unterschritten werden

Auch könne der klagenden Renault-Fahrerin nicht der Vorwurf gemacht werden, sie sei zu nah an dem Taxi vorbeigefahren. Sie habe das Taxi zwar nur in einem Abstand von 70 bis 80 Zentimeter passiert, also in einem geringeren Abstand als die regelmäßig zu Grunde gelegten ein Meter bei Überholvorgängen. Der Abstand von einem Meter könne nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls aber durchaus geringer ausfallen.

Überholende Autofahrerin haftet zu 25 Prozent

Dennoch sah das Landgericht eine Haftungsquote von 25 Prozent bei der Renault-Fahrerin. Mit einer Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometern sei sie deutlich zu schnell gefahren – zulässig gewesen wären nur 7 Stundenkilometer.

Erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung hat Betriebsgefahr erhöht

Die Betriebsgefahr des Renaults habe sich durch diese erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung objektiv erhöht. Deshalb sei es, anders als vom Amtsgericht entschieden, nicht angemessen, sie vollständig zurücktreten zu lassen.

Fazit: Der Klägerin stehen nur 75 Prozent ihres geltend gemachten Schadensersatzes von knapp 1.900 Euro zu.

(LG Saarbrücken, Urteil v. 11.02.2022, 13 S 135/21)

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