Strafverfahren gegen VW-Spitzenmanager endgültig eingestellt

Zusammen 9 Millionen Euro haben der VW-Chef Diess und der Vorsitzende des Aufsichtsrats Pötsch für die Einstellung des Verfahrens zahlen müssen. Der Vorwurf lautete auf rechtswidrige Einflussnahme auf den Börsenwert des Unternehmens gem. § 119 Abs. 1 WpHG. Die Einstellung könnte Auswirkungen auf das Anlegerverfahren gegen VW um milliardenschweren Schadenersatz haben.

VW-Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch können aufatmen. Die wegen verbotener Marktmanipulation von der StA Braunschweig angeschuldigten VW-Spitzenmanager kommen ohne größere Blessuren aus dem im Zusammenhang mit der Abgasmanipulation bei VW-Dieselmotoren gegen sie eingeleiteten Strafverfahren.

Der Vorwurf der StA: Verbotene Marktmanipulation

Nach den Erkenntnissen der StA sollen die beiden Angeschuldigten sich durch verspätete Aufklärung des Kapitalmarktes über mögliche finanzielle Belastungen des Konzerns im Zusammenhang mit der Aufdeckung der Dieselmanipulationen gemäß § 119 Abs. 1 WpHG strafbar gemacht haben.

Zur Überzeugung der Staatsanwälte hatten die beiden Spitzenmanager bereits vor Veröffentlichung des Dieselskandals durch die US-Umweltbehörden in ihrer Notice of Violationam 18.9.2015 von der Abgasmanipulation an den Dieselmotoren bei VW gewusst. Zu diesem Zeitpunkt war Diess VW-Markenchef - allerdings erst seit Juli 2015 -, Pötsch war als Finanzvorstand für die Kommunikation mit dem Kapitalmarkt zuständig.

StA hielt Informationspflicht gegenüber dem Kapitalmarkt für verletzt

Nach den Ermittlungen der StA hätten die Manager schon Ende Juli 2015 die kapitalmarktrechtliche Relevanz dieser Vorgänge erkennen können und müssen. Damit wären sie bereits zu diesem Zeitpunkt wertpapierrechtlich verpflichtet gewesen, den Kapitalmarkt über die aus den Vorgängen resultierende und möglicherweise zu erwartende finanzielle Belastung („Defeat Device“) des VW-Konzerns zu informieren. Dass sie dies nicht getan haben, bewerteten die Ermittler als rechtswidrige Einflussnahme auf den Börsenwert des Unternehmens im Sinne von § 119 Abs. 1 WpHG.

Angeschuldigte: Wir waren von den Vorgängen überrascht!

Beide Manager bestreiten, von den Vorgängen vor dem 18.9.2015 gewusst zu haben. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, welche Personen innerhalb des Konzerns zu welchem Zeitpunkt Kenntnis hatten. Einige Zivilgerichte haben in diesem Punkt allerdings eine klare Auffassung.

Nach der Bewertung des OLG Stuttgart widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass maßgebliche Vorstände von VW über die Verwendung der Manipulationssoftware bei Dieselfahrzeugen nicht frühzeitig Kenntnis gehabt haben sollen (OLG Stuttgart, Urteil v. 24.9.2019, 10 U 11/19).

LG: Kenntnis der Angeschuldigten über Dieselgate erst mit „Notice of Violation“

Das für die Durchführung des Strafprozesses zuständige LG Braunschweig ließ von Anfang an starke Zweifel an der Beweisbarkeit der staatsanwaltschaftlichen Befunde erkennen. Vor dem LG ist das Strafverfahren nie über das nicht-öffentliche Zwischenverfahren hinausgekommen.

In dem nun ergangenen Einstellungsbeschluss hat das LG klargemacht, dass nach seiner Überzeugung den Angeschuldigten die Softwaremanipulationen an den Dieselfahrzeugen nicht vor der am 18.9.2015 von den amerikanischen Umweltbehörden veröffentlichte „Notice of Violation“ bekannt geworden sind. Am 20.9.2015 sei darauf von der Volkswagen AG eine Ad-hoc-Mitteilung an den Kapitalmarkt gegangen.

Strafverfahren gegen VW-Manager ist unanfechtbar eingestellt

Vor diesem Hintergrund entschied das LG, dass mit Zahlung einer Geldsumme von 4,5 Millionen Euro durch jeden der beiden Angeschuldigten das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung gemäß § 153 a Abs. 2 u. 1 StPO beseitigt werden könne. Nachdem die Zahlung am 20.5.2020 bei der Gerichtskasse eingegangen ist, hat das LG das Verfahren durch Beschluss noch am gleichen Tag endgültig eingestellt. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Auch Ex-VW-Chef Winterkorn könnte von der Einstellung profitieren

Die Einstellung des Verfahrens könnte Auswirkungen auf das ebenfalls wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation gegen den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn eingeleitete Strafverfahren haben. Auch dort dringen die Verteidiger auf eine Einstellung gegen Auflagen. Auch Martin Winterkorn will vor dem 18.9.2015 keine Kenntnis von den Software-Manipulationen gehabt haben. Der Ex VW-Chef ist allerdings noch in einem weiteren Verfahren wegen des Vorwurfs des Betrugs angeklagt.

Anleger fordern milliardenschweren Schadenersatz

Nicht absehbar ist, welche Auswirkungen die Einstellung des Verfahrens auf das beim OLG Braunschweig anhängige Anlegerverfahren hat, in dem Aktieninhaber milliardenschwere Schadensersatzforderungen gegen VW wegen der Verletzung der kapitalmarktrechtlichen Informationspflicht geltend machen (OLG Braunschweig, 3 Kap 1/16). Auch in diesem Verfahren spielt der Zeitpunkt der Kenntnis der Spitzenmanager von den Abgasmanipulationen eine entscheidungserhebliche Rolle. Da die Einstellung des Braunschweiger Strafverfahrens gemäß § 153 a StPO juristisch weder ein Schuldspruch noch ein Freispruch ist, wird das OLG in dem Anlegerverfahren um eine eigene Beurteilung der Vorwürfe nicht herumkommen. Stärken dürfte die jetzige Verfahrenseinstellung die Anlegerseite aber nicht.

VW-Aufsichtsrat begrüßt Verfahrenseinstellung

Der Aufsichtsrat von VW begrüßte die Einigung unter Hinweis darauf, dass es angesichts der derzeitigen Belastungen des Konzerns sowohl durch den Abgasskandal als auch durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie darauf ankomme, möglichst wenige zusätzliche Baustellen zu haben.

VW soll Geldauflage übernommen haben

Die Geldauflage von insgesamt 9 Millionen Euro wäre selbst für die beiden Spitzenmanager kein Pappenstiel gewesen. Nach einer Meldung des Handelsblatts dürfte der VW-Konzern aber die Zahlung von 9 Millionen Euro an die Gerichtskasse veranlasst haben. Im Ergebnis wären die beiden Spitzenmanager damit sogar ohne das berühmte blaue Auge davongekommen.

Hintergrund:

Als Folge der Manipulation der Fahrzeugsoftware zur Reinigung der Abgase bei Dieselfahrzeugen kämpft der VW-Konzern seit langem an zwei Fronten:

  • Zum einen geht es um die Schadensersatzforderungen von VW-Kunden im In- und im Ausland,
  • zum zweiten um die Schadensersatzforderungen von Anlegern.

Beide „VW-Baustellen“ haben zusätzlich eine strafrechtliche Seite, nämlich den Vorwurf eines möglichen Betruges gegenüber den Diesel-Kunden sowie die Verletzung marktkapitalrelevanter Informationspflichten.

Im Rahmen eines Musterfeststellungsverfahrens vor dem OLG Braunschweig hat sich VW mit vielen Käufern inzwischen auf Erstattungen von ca. 15 % des gezahlten Kaufpreises geeinigt (OLG Braunschweig, 4 MK 1/18). Eine ganze Reihe von Individualklagen auf Schadenersatz ist aber noch anhängig.

Ebenso stehen Entscheidungen zu den Anlegerklagen noch aus. Schadenersatz- und Strafzahlungen haben den VW-Konzern bisher über 30 Milliarden Euro gekostet.

Schlagworte zum Thema:  Schadensersatz, Strafrecht