Keine Notwehr gegen flüchtenden Räuber

Wenn einer einen flüchtenden Räuber auf seinem Grundstück von hinten erschießt, handelt er dann noch in berechtigter Verteidigung seiner Person und seines Eigentums oder überschreitet er damit die Grenzen erlaubter Selbstverteidigung?

Über diese Fragen hatte das LG Stade in einem aufsehenerregenden Prozess zu entscheiden. Im Dezember 2010 war ein damals 77jährige Rentner auf seinem Grundstück überfallen worden. Der Rentner hatte eine Beziehung zu einer Prostituierten unterhalten. Diese und ihre damalige Freundin hatten fünf junge Männer dazu animiert, das Haus des wohlhabenden Rentners zu überfallen. Am Abend des 13. Dezember 2010 begab sich der Rentner, der nach einer Knieoperation auf Krücken angewiesen war, auf den Hof seines Anwesens, um seinen Hund zu füttern. Die fünf jugendlichen Männer überwältigten ihn und hielten ihn anschließend im Haus fest. Einer hielt ihm hierbei eine echt wirkende Pistole an die Schläfe. Die jungen Leute hofften auf einen Millionen-Coup, fanden aber nur eine Brieftasche mit ca. 2.000 Euro, eine Uhr und eine Halskette. Beim Öffnen des Tresors sprang die Alarmanlage an. In Panik traten die Einbrecher die Flucht an.

Fünf lebensgefährliche Schüsse, einer traf

Ein Sechzehnjähriger, der aus dem Kosovo stammte und die Brieftasche des Rentners an sich genommen hatte, kam nicht schnell genug durch die nur wenig geöffnete Terrassentür. Der Rentner war vor Jahren Opfer einer Erpressung geworden und hatte deshalb immer zwei geladene Waffen im Haus. Der Rentner selbst glaubte zu diesem Zeitpunkt, einen Schuss gehört zu haben, er sah sein Leben bedroht und schoss insgesamt fünfmal in Richtung des flüchtenden Sechzehnjährigen. Sämtliche Kugeln waren über Hüfthöhe eingeschlagen. Eine Kugel traf durch den Rücken in die Hauptschlagader des Sechzehnjährigen, der innerhalb weniger Minuten verblutete.

Juristisches Hickhack um Verfahrenseröffnung

Erst vier Jahre nach der Tat wurde die Hauptverhandlung gegen den inzwischen 81 -jährigen eröffnet. Vorausgegangen war ein juristisches Hickhack. Einmal wollte die Staatsanwaltschaft keine Anklage erheben, weil sie von einer Notwehrlage ausging. Dann war das Gericht nicht bereit, die dann doch erhobene Anklage zuzulassen. Erst auf Intervention des zuständigen OLG wurde das Hauptverfahren eröffnet.

Überraschende Verurteilung

Am Ende der Hauptverhandlung gingen der Staatsanwalt und der Verteidiger des angeklagten Rentners von einer Notwehrsituation aus und forderten Freispruch. Das LG jedoch entschied zur Überraschung vieler Beobachter anders und verurteilte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Schüsse auf den Oberkörper waren nicht erforderlich

Die Notwehrfrage beantworte das Gericht anders als Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Gemäß § 32 Abs. 2 StGB ist Notwehr die

  • Verteidigung,
  • die erforderlich ist,
  • um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abzuwehren.

Das LG ging davon aus, dass eine Notwehrlage trotz bereits auf der Flucht befindlicher Täter zum Zeitpunkt der Schussabgabe noch bestand, weil die Täter die Beute bei sich trugen. Allerdings bewertete das LG die abgegebenen Schüsse in Oberkörperhöhe als in dieser Situation nicht erforderlich. Mit Überschreiten der Grenzen des Notwehrrechts befand sich der Angeklagte damit in einem so genannten Notwehrexzess.

Notwehrexzess kann straffrei bleiben

Gemäß § 33 StGB wird der Täter dann nicht bestraft, wenn er die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet. Diese Voraussetzungen sah das Gericht vorliegend nicht als gegeben an. Das Gericht würdigte dabei, dass es sich bei dem Angeklagten um einen erfahrenen Jäger handelte. Immerhin habe der Angeklagte zwei Schusswaffen zuhause bereitgehalten für den Fall eines Angriffs. Als Jäger habe er die Pflicht und auch die Fähigkeit gehabt, im Fall eines Angriffs angemessen zu reagieren und nicht dermaßen in Furcht und Schrecken zu verfallen, dass er die Tragweite seines Handelns nicht mehr würde überblicken können. Insbesondere habe er angesichts der Flucht der Täter nicht Schüsse in einer Höhe abgeben dürfen, von denen der Angeklagte annehmen musste, dass sie tödlich verlaufen könnten.

Notwehrrecht nicht schrankenlos

In seiner Urteilsbegründung wies der Vorsitzende Richter ausdrücklich darauf hin, dass die amerikanische Variante der schrankenlosen Verteidigung des Grundbesitzes („Stand your Ground“) in Deutschland nicht gelte. Eine Verteidigung sei nur insoweit durch Notwehr gerechtfertigt, als ein Angreifer anders nicht abgewehrt werden könne. Die Abgabe von tödlichen Schüssen auf einen flüchtenden Räuber sei für einen im Waffengebrauch erfahrenen Jäger aber nicht notwendig, um einen solchen Angriff abzuwehren. Ein Schuss auf die Beine des Täters hätte ohne weiteres - so der Vorsitzende Richter – genügt.

Psychische Ausnahmesituation

Das Gericht hielt dem Angeklagten aber zu Gute, dass er sich in einer akuten Belastungsituation befunden habe. Das Gericht glaubte ihm auch, dass der Angeklagte davon ausgegangen war, einen Schuss gehört zu haben und dadurch in Panik geraten zu sein. Der Angeklagte habe „Todesängste“ ausgestanden und habe sich dadurch psychisch in einer Situation befunden, von der nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie seine Steuerungsfähigkeit eingeschränkt habe. Das Gericht gestand dem Angeklagten daher eine verminderte Schuldfähigkeit zu, bewertete das Geschehen als minder schweren Fall des Totschlags und kam so zu dem angesichts des Delikts milden Strafrahmen von neun Monaten Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Ob der Angeklagte Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird, ist noch offen.

(LG Stade, Urteil v. 27.10.2014)

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