Die Bewertung der stillen Reserven bleibt intransparent

In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof den Versicherungsnehmern eine Niederlage beschert. Hiernach muss die Versicherung die Berechnung der Beteiligung des Versicherungsnehmers an den Bewertungsreserven nicht im einzelnen offen legen.

Der heute 71 -jährige Rentner hatte im Jahr 1987 eine Lebensversicherungspolice bei der Allianz abgeschlossen. Zur Vertragsende 2008 erhielt er insgesamt 28.026 EUR ausgezahlt. Hiervon entfiel ein Anteil in Höhe von 9.124 EUR auf die Überschussbeteiligung inklusive der Beteiligung an den Bewertungsreserven. Hierbei hatte die Versicherung die Bewertungsreserven mit der Überschussbeteiligung verrechnet, ohne die Verrechnungsgrößen im einzelnen zu benennen. Diese Verrechnungsweise war nach Auffassung des Rentners unzulässig, die Berechnung für ihn völlig intransparent. Der Rentner klagte daher gegen die Versicherung auf Zahlung der nach seiner Auffassung zu Unrecht gegengerechneten Bewertungsreserve in Höhe von 656,88 EUR. Hilfsweise beantragte er, festzustellen, dass die Verrechnung von Überschussbeteiligung und Bewertungsreserven unbillig sei. Hilfsweise hierzu beantragte er die Verurteilung der Versicherung zur Auskunftserteilung über die mathematische Berechnung seines Anteils an der Beteiligung am Überschuss und an den Bewertungsreserven.

Die gesetzliche Grundlage ist schwammig formuliert

Mit seiner Klage hatte der Rentner keinen Erfolg. Der BGH urteilte auf Grundlage von § 153 Abs. 3 Satz 1 VVG. Diese Vorschrift sieht seit dem Jahr 2008 vor, dass dem Versicherungsnehmer eine Beteiligung an Überschuss und an den Bewertungsreserven zusteht. Gemäß § 153 Abs. 3 VVG sind die Bewertungsreserven jährlich neu zu ermitteln und nach einem verursachungsorientierten Verfahren rechnerisch zuzuordnen. Bei Beendigung des Versicherungsvertrages ist der zu diesem Zeitpunkt zu ermittelnde Betrag zur Hälfte an den eine Versicherungsnehmer auszuzahlen. Der Begriff des verursacherorientierten Verfahrens wurde seit Einführung von Versicherungsmathematikern kritisiert, da er keine konkrete Berechnungsmethode vorgebe.

Die Versicherung hat die gesetzlichen Erfordernisse beachtet

Der BGH betonte, dass es sich bei den Bewertungsreserven um eine reine Berechnungsgröße handele, die sich aus der Differenz zwischen dem Buchwert und dem Zeitwert von Kapitalanlagen ergebe. Lebensversicherungen haben das Geld der Versicherten in hohem Maße in gut verzinste Staatsanleihen angelegt. Die Bewertungsreserven sind deshalb infolge des allgemeinen Niedrigzinsniveaus aktuell stark gestiegen. Nach dem Versicherungsaufsichtsrecht sind die für die Überschussbeteiligung der Versicherten bestimmten Beträge, soweit sie den Versicherten nicht unmittelbar zugeteilt wurden, in eine Rückstellung für Beitragsrückerstattungen einzustellen. Diese Rückstellung darf nur für die Überschussbeteiligung der Versicherten einschließlich der Beteiligung an den Bewertungsreserven verwendet werden. Daraus folgert der BGH, dass ein höherer Anteil an Bewertungsreserven bei den Rückstellungen für die Beitragsrückerstattung automatisch ein Absinken der Überschussbeteiligung zur Folge hat. Diese Vorgaben habe die beklagte Versicherung eingehalten, so dass der Rentner nach Auffassung des Senats insoweit einen Zahlungsanspruch nicht schlüssig vorgetragen habe. Die Berechnung der Höhe der Bewertungsreserven habe der Kläger als solche nicht angegriffen. Ein Anspruch auf eine zusätzliche Zahlung sei daher zu verneinen.

Kein Raum für Billigkeitserwägungen

Ebensowenig kann der Rentner nach dem BGH verlangen, dass das Gericht die Unbilligkeit der Festsetzung feststellt. Ein solcher Anspruch könnte nach Ansicht der Richter allenfalls auf § 315 BGB gestützt werden. Voraussetzung hierfür sei, dass die Parteien rechtsgeschäftlich vereinbart hätten, dass eine Partei durch einseitige Willenserklärung den Inhalt einer Vertragsleistung nach billigem Ermessen bestimmen kann. Daran fehle es aber, wenn die Parteien - wie hier - objektive Maßstäbe vereinbart hätten, nach denen die vertraglichen Leistungspflichten zu bestimmen sind.

Berechnung bleibt intransparent

Schließlich wies der BGH auch den zweiten Hilfsantrag der des Rentners ab. Auskunft über die Berechnungsweise könne der Rentner nicht verlangen, da ein solcher Auskunftsanspruch grundsätzlich nur dann infrage komme, wenn ein rechtswirksamer Zahlungsanspruch im Raume stehen. Hier sei von vornherein klar, dass ein Zahlungsanspruch nicht existiere. Daher habe der Rentner auch kein berechtigtes Auskunftsinteresse.

Schlag ins Gesicht der Versicherten

Der BdV (Bund der Versicherten) hat das Urteil bereits scharf kritisiert. Nach dieser Entscheidung hätten die Versicherten keinerlei Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Berechnung Ihrer Beteiligungen an Überschüssen und Bewertungsreserven. Sie müssten sich auf die Aussagen der Versicherungen verlassen. Der BGH habe den Versicherungen damit Milliarden an Zahlungen erspart in Anbetracht dessen, dass zurzeit in Deutschland ca. 88 Millionen gültige Lebensversicherungsverträge existierten. Das Urteil sei ein Schlag ins Gesicht der Verbraucher und ein Geschenk an die Versicherer. Lebensversicherungen blieben „für die Versicherten eine Blackbox“ äußerte Kerstin Becker Eiselen von Verbraucherzentrale Hamburg. Der Anwalt des Klägers hat in einer ersten Stellungnahme eine Verfassungsbeschwerde nicht ausgeschlossen.

(BGH, Urteil v. 11.2.2015, IV ZR 213/14)