Containern bleibt nach einer Entscheidung des BVerfGs strafbar

Verfassungsbeschwerden zweier Studentinnen gegen ihre Verurteilung wegen Diebstahls aufgrund der Wegnahme zur Entsorgung bestimmter Lebensmittel aus dem Container eines Supermarkts hat das BVerfG nicht angenommen. An der Strafbarkeit des Mülltauchens etwas zu ändern, sei Sache des Gesetzgebers. In anderen Ländern ist es Supermärkten verboten, genießbare Lebensmittel wegzuwerfen.

Das sogenannte „Containern“ oder auch „Dumpster Diving“ - d.h. der Diebstahl von entsorgten Lebensmitteln aus den Containern von Supermärkten, aber auch von Bäckereien, Restaurants und Hotels - ist ein inzwischen weltweit verbreitetes Phänomen und soll u.a. die Wegwerfmentalität der Wohlstandsgesellschaften anprangern. In Deutschland wird das „Containern“ von der Mehrzahl der Gerichte als Diebstahl bestraft.

Grundsatzentscheidung des BayObLG zum Containern

Als das BayObLG nach zwölfjähriger Pause im September 2018 seine Tätigkeit wieder aufgenommen hat, machte es durch eine von großem Medieninteresse begleitete Grundsatzentscheidung auf sich aufmerksam. Im Fall zweier Studentinnen, die aus dem Abfallcontainer eines Edeka-Marktes (Werbeslogan: „Wir lieben Lebensmittel“) zur Entsorgung bestimmte Lebensmittel entnommen hatten, bestätigte das BayObLG die erstinstanzlich vorbehaltene Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen a 15 Euro.

Die endgültige Verurteilung war auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, dies verbunden mit der Auflage zur Ableistung von acht Sozialstunden an der örtlichen Tafel (AG Fürstenfeldbruck, Urteil v. 30.1.2019, 3 Cs 42 Js 26676/18; BayObLG, Beschluss v. 2.10.2019. 206 StRR 1013/19 u. 1015/19).

Eigentümer trägt Verantwortung für nicht verzehrfähige Lebensmittel

Das BayObLG begründete die Verurteilung damit, die Fa. Edeka habe die Lebensmittel zum Zwecke der Entsorgung in dem Container gelagert und damit die tatsächliche Verfügungsgewalt über die zu entsorgenden Lebensmittel nicht aufgegeben. Dies zeige sich u.a. daran, dass der Container eigens verschlossen und ein Entsorgungsunternehmen mit der Abholung beauftragt worden war.

Urteil des BayObLG mit Verfassungsbeschwerde angegriffen

Die beiden Studentinnen griffen das Urteil des OLG mit der Verfassungsbeschwerde an. Sie rügten eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie ihrer gemäß Art. 2 Abs. 1 GG garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit. Die Verletzung dieser Rechte folge daraus, dass

  • der Supermarkt kein schutzwürdiges Interesse an den weggeworfenen Lebensmitteln geltend machen könne.
  • Die Bestrafung ihres Verhaltens verstoße daher gegen den Grundsatz, dass strafrechtliche Sanktionen nur als Ultima Ratio gegenüber gesellschaftlich nicht zu tolerierendem, sozialschädlichem Verhalten in Betracht kämen.

Die Sanktionierung verstoße auch gegen den aus Art. 20 a GG folgenden Grundsatz, dass im Rahmen der Wahrung des Gemeinwohls auch der verantwortungsvolle und nachhaltige Umgang mit Lebensmitteln zu schützen sei.

Diebstahlstatbestand verfassungsrechtlich unbedenklich

Die höchsten deutschen Richter ließen sich von dieser Argumentation nicht überzeugen. Die Bewertung des Containers als strafwürdiges Verhalten durch die Strafgerichte orientiere sich an dem Tatbestandsmerkmal der Fremdheit der entwendeten Sachen in § 242 StGB. Dies verstoße nicht gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot. Der Schutzzweck des § 242 StGB, der jede Wegnahme fremder Sachen aus Gründen der Rechtseinheit und Rechtssicherheit unter Strafe stelle, sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Korrekte Auslegung der Instanzgerichte

Die zivilrechtliche Würdigung, ob Abfälle in einem Container infolge einer Eigentumsaufgabe gemäß § 959 BGB herrenlos geworden sind oder ob sie im Eigentum des bisherigen Eigentümers zum Zwecke einer ordnungsgemäßen Entsorgung verblieben sind, obliegt nach Auffassung der Verfassungsrichter den Fachgerichten und hat grundsätzlich keine verfassungsrechtliche Relevanz. Gegen die Beweiswürdigung der Instanzgerichte, dass der Eigentümer der Lebensmittel durch Verschließen der Container eine ordnungsgemäße Entsorgung durch das beauftragte Entsorgungsunternehmen sicherstellen wollte, sei verfassungsrechtlich ebenfalls nichts einzuwenden.

Ein Lebensmittelunternehmen trage die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Entsorgung nicht mehr verzehrfähiger Lebensmittel. Zur Entsorgung bestimmte Lebensmittel würden daher nicht ohne Grund dem Zugriff beliebiger Dritter bewusst entzogen.

Über die Entkriminalisierung des „Containerns“ hat allein der Gesetzgeber zu entscheiden

Damit verstößt die Strafbarkeit des „Containerns“ im Ergebnis auch nicht gegen das Ultima-Ratio-Prinzip des Strafrechts. Es sei nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts, darüber zu befinden, ob es aus Sicht des Gesetzgebers möglicherweise sinnvoll wäre, die bisher umfangreichen Initiativen zur Entkriminalisierung des „Containerns“ aufzugreifen. Dem Gesetzgeber stehe es grundsätzlich frei, das zivilrechtliche Eigentum, auch wenn es faktisch wertlos geworden ist, mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen. Insoweit sei auch das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 GG als Rechtsgut von Verfassungsrang zu berücksichtigen.

Das (geringe) Maß der Schuld wurde angemessen berücksichtigt

Schließlich verwiesen die höchsten deutschen Richter auf die im Straf- und Strafprozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten, der möglicherweise im Einzelfall geringen Schuld eines Täters Rechnung zu tragen. Dies sei vorliegend bereits in der amtsgerichtlichen Entscheidung auch in angemessener Weise geschehen.

(BVerfG, Beschluss v. 5.8.2020, 2 BvR 1985/19 und 1986/19)

Reaktionen auf die Entscheidung: Tafeln äußern sich kritisch

Vertreter der Tafeln in Deutschland hatten die strafrechtliche Verurteilung der beiden Studentinnen stark kritisiert und weisen darauf hin, dass geschätzt ca. 13 Millionen Tonnen Lebensmittel in Deutschland jährlich vernichtet würden. Aus diesem Grunde hätten andere europäische Länder wie Frankreich und Tschechien bereits Gesetze gegen Lebensmittelverschwendung verabschiedet, mit denen es den Supermärkten verboten würde, noch genießbare Lebensmittel wegzuwerfen. Diese müssen in diesen Ländern zwingend den Tafeln gespendet werden.

Rechtsprechung in Deutschland uneinheitlich

Auch in Deutschland ist die Beurteilung des Containers durch die Gerichte nicht ganz einheitlich. So hat das LG Lüneburg einen politischen Aktivisten, der aus dem Müll einer Confiserie einen kompletten Eimer mit Keksen entnommen hatte, in der Berufungsinstanz entgegen dem Urteil des Erstgerichts freigesprochen (LG Lüneburg, Urteil v. 27.2.2012, 29 Ns 1106 JS 21744/10).


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