Schmerzliche Niederlage der GEMA beim BGH

Die Wiedergabe von Hörfunksendungen in den Wartezimmern von Zahnarztpraxen ist nicht öffentlich und damit gegenüber der GEMA auch nicht vergütungspflichtig. Dies gilt auch für andere Praxen wie die von Steuerberatern und Rechtsanwälten.

Ein Zahnarzt unterhielt die Patienten seiner Praxis im Wartebereich mit Hintergrundmusik, die von einem Radiomusiksender ausgestrahlt wurde. Im März 2003 hatte der Zahnarzt mit der GEMA einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag geschlossen, für den er eine regelmäßige Lizenzgebühr entrichtete. Zum 7.12.2012 erklärte der Zahnarzt die fristlose Kündigung des Lizenzvertrages. Er bezog sich auf ein Urteil des EuGH vom 15.3.2012, wonach die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen keine öffentliche Wiedergabe darstelle. Nach diesem Urteil sei er zur Entrichtung einer Lizenzgebühr nicht verpflichtet, so dass er den Lizenzvertrag mit sofortiger Wirkung kündige.

Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung

Die GEMA war mit der Argumentation des Zahnarztes nicht einverstanden und nahm diesen gerichtlich auf Zahlung weiterer Lizenzgebühren in Anspruch. Das AG gab der Klage insoweit statt, als der Zahnarzt die bis einschließlich 16.12.2012 fällige Lizenzgebühr teilweise nicht entrichtet hatte und verurteilte diesen zur Zahlung von 61,64 EUR. Im übrigen wies das AG die Klage ab. Das Berufungsgericht bestätigte das amtsgerichtliche Urteil mit der Begründung, der Lizenzvertrag sei durch eine berechtigte fristlose Kündigung mit Wirkung zum 17.12.2012 beendet worden. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ließ das LG die Revision zu.

Die Rechtstellung der GEMA

Der BGH stellte zunächst die rechtlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung klar. Die GEMA als „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ nehme die Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern eingeräumten Rechte zur Nutzung von Werken der Tonkunst war. Sie besitze die Ermächtigung der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL), die von diesen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche der Urheber von Sprachwerken sowie der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller geltend zu machen.

Bezweckt ist der Schutz der Vergütungsrechte der Urheber

Vor diesem Hintergrund wies der BGH darauf hin, dass

  • die GEMA die Rechte der Urheber auf die Wiedergabe von Funksendungen gemäß § 22 Satz 1 UrhG vertrete.
  • Gemäß § 78 Abs. 2 Nr. 3 UrhG sei dem Künstler eine angemessene Vergütung zu zahlen, wenn eine Sendung oder Darbietung öffentlich wahrnehmbar gemacht werde.
  • Öffentlich sei eine Wiedergabe gemäß § 15 Abs. 3 Urhebergesetz dann, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt sei.

Musikwiedergabe in Arztpraxen ist nicht öffentlich

Nach Ansicht der BGH Richter hatten die Parteien im Jahre 2003 zu Recht einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag geschlossen, da zu diesem Zeitpunkt nach der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechtsauslegung die Wiedergabe von Tonträgern in Arzt- oder sonstigen Praxen als öffentlich anzusehen war. Mit dem Urteil des EuGH vom 15.3.2012 habe sich die Rechtslage grundlegend geändert. In seiner Entscheidung habe der EuGH klargestellt, dass eine Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen keine öffentliche Wiedergabe im Sinne der EU-Richtlinie 2006/115/EG darstelle. Nach dem Urteil des EuGH ist das Merkmal der Öffentlichkeit nur dann erfüllt, wenn die Wiedergabe einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und einer größeren Vielzahl von Personen zugänglich gemacht werde. Ein eher eng eingegrenzter Patientenkreis einer Arztpraxis erfülle diesen Begriff nicht (EuGH, Urteil v. 15.3.2012, C- 135/10).

BGH ist an die Rechtsprechung des EuGH gebunden

Die BGH-Richter betonten, dass diese Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH deutsche Gerichte binde. Danach seien nationale Bestimmungen wie das Urheberrecht richtlinienkonform auszulegen. Der Begriff der Öffentlichkeit in §15 Abs. 3 UrhG sei entsprechend der Rechtsprechung des EuGH neu zu definieren. Im Ergebnis sei die Wiedergabe von Tonträgern in Arztpraxen auch nach bundesdeutschem Recht als nicht öffentlich anzusehen.

Die Kündigung des Lizenzvertrages war rechtens

Diese Auslegung führt nach der Entscheidung des BGH für den zwischen den Parteien geschlossene Lizenzvertrag zu eindeutigen Rechtsfolgen. Im Jahr 2003 sei der Lizenzvertrag auf der von beiden Parteien - damals zu Recht - vorausgesetzten Geschäftsgrundlage abgeschlossen worden, dass die Wiedergabe von Tonträgern in Arztpraxen öffentlich und damit gegenüber der GEMA vergütungspflichtig sei. Diese Geschäftsgrundlage sei mit dem Urteil des EuGH am 15.3.2012 entfallen. Die fristlose Kündigung des Lizenzvertrages zum 17.12.2012 könne daher auf den Rechtsgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gestützt werden. Damit sei die Kündigung wirksam. Lizenzgebühren über diesen Zeitraum hinaus müssten nicht mehr gezahlt werden.

Praxishinweis

Dem Urteil des BGH kommt eine erhebliche Bedeutung für die Wiedergabe von Musik für einen begrenzten Personenkreis zu. Für einige nach der bisherigen Rechtslage als öffentlich angesehene Veranstaltungen, dürfte künftig die Anmeldepflicht gegenüber der GEMA entfallen. Wo genau die für die Öffentlichkeit erforderliche größere Vielzahl von Personen beginnt, bedarf aber noch einer exakteren Definition.

(BGH, Urteil v. 18.6.2015, I ZR 14/14)