Wann muss der Rechtsanwalt Mandanteninformatione überprüfen?

Vertrauen ist grundsätzlich gut, aber seitens des Anwalts gegenüber Aussagen seiner Mandanten nicht angebracht. Bei Informationen zu Rechtstatsachen darf kein juristisches Wissen vorausgesetzt werden. Nach sorgfältigem Befragen muss der Anwalt selbst die rechtlichen Schlüsse ziehen. Es ging um den Zugang eines Kündigungsschreibens.

Bei einem Haftungsfall ging es um eine Rechtsanwalt, der seinem Mandanten geschadet hatte, weil es sich auf seine Angaben "blind" verlassen hatte.

Mandantin verklagt ihren Rechtsanwalt nach verspäteter Klageeinreichung

Schuld ist der Anwalt. Das reklamierte eine Mandantin, deren Kündigungsschutzklage wegen verspäteter Einreichung abgewiesen wurde. Sie verlangt von ihm gut 25.000 EUR für den in der Folge erlittenen Verdienstausfall. Der Rechtsanwalt hatte

  • die Klage am 13. Januar 2012,
  • dem vermeintlich letzten Tag der dreiwöchigen Klagefrist beim Arbeitsgericht eingereicht.

Dieser Freitag, der 13. brachte dem Juristen tatsächlich Unglück, wie sich nun, sieben Jahre später per BGH-Entscheidung manifestierte.

Ehemann der Mandantin irrt sich beim Zugangsdatum um einen Tag

Bei der Berechnung der Frist hatte der Rechtsanwalt die Aussage des Ehemannes der Klägerin zugrunde gelegt, das Kündigungsschreiben sei am 23.12.2011 zugegangen. In Wirklichkeit hatte

  • der Arbeitgeber aber das auf den 22.12.2011 datierte Schreiben
  • noch am selben Tag „per Boten“ vor 11 Uhr vormittags in den Briefkasten der Mitarbeiterin einwerfen lassen,
  • sodass es bereits am 22.12.2019 zugegangen war.

Abweisung wegen Verspätung nach gescheiterter Einigung

Das Fatale an der Sache: das Arbeitsgericht hat die Klage nicht von vornherein als unzulässig zurückgewiesen, sondern ließ die Parteien antreten und sich einigen. Der Anwalt wird sich jetzt wohl ärgern, dass ausgerechnet er diesen Vergleich widerrufen hat. Erst danach kam die abweisende Entscheidung, die ihm den großen Ärger einbrachte.

BGH bestätigt Pflichtverletzung des Rechtsanwalts

Während die Mandantin in den ersten zwei Instanzen mit ihrem Anliegen scheiterte, hat sie vor dem BGH Verständnis erfahren. Die obersten Bundesrichter sahen in dem Verhalten ihres Anwalts eine Pflichtverletzung (§ 675 Abs.1, § 280 Abs.1 BGB) und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.

Rechtstatsachen müssen beim Mandanten hinterfragt werden

Auf tatsächliche Angaben seiner Mandantschaft darf ein Anwalt solange vertrauen

  • wie es keine gegenteiligen Anhaltspunkte gibt.
  • Das gilt aber nur für Informationen tatsächlicher Art,
  • nicht für die rechtliche Beurteilung eines tatsächlichen Geschehens.

Bei rechtlichen Angaben des Mandanten muss der Anwalt damit rechnen, dass der Klient die Umstände nicht richtig beurteilt.

Rechtsanwalt muss bei Rechtstatsachen Rückfragen stellen

Auf Informationen nur scheinbar tatsächlicher Natur darf er sich daher nicht verlassen.

  • Bei Rechtstatsachen muss der Rechtsanwalt Rückfragen stellen,
  • die die zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände und Vorgänge aufklären oder
  • weitere Ermittlungen anstellen.

Nachfragen des Rechtsanwalts zur Briefkastenleerung unerlässlich

Das Kündigungsschreiben war auf den 22.12.2011 datiert und mit der Aufschrift „per Boten“ versehen. Allein aufgrund dieser beiden Fakten war der Zugang am 22.12.2011 eine Möglichkeit.

  • Nachfragen beim Ehemann bzw. der Mandantin selbst zu den Zeiten,
  • zu denen der Briefkasten kontrolliert und geleert wurde,
  • hätten weiteren Aufschluss gebracht.

Und wenn nicht, dann hätten die verbleibenden Zweifel den Anwalt dazu veranlassen müssen, die Klage sicherheitshalber schon am 12. Januar 2012 einzureichen.

Auch Berufungsgericht hätte Fragen zum Zugang stellen müssen

Was sie auf Nachfrage geantwortet hätten, haben die Mandantin und ihr Ehemann bis zur Revision nie vorgetragen. Hier wirft der BGH dem OLG Hamburg vor,

  • einen entsprechenden Hinweis und Schriftsatznachlass nicht gegeben zu haben,
  • was auch ohne Antrag erforderlich gewesen sei;
  • ohne dem sei das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt.

Diesen Fehler muss das Berufungsgericht jetzt ausmerzen, wenngleich die Antwort auf die Frage, ob eine Zustellung des Kündigungsschreibens schon am 22.12.2011 denkbar wäre, bereits jetzt klar ist, ebenso wie das Endurteil dem Grunde nach, das der BGH mit seiner Bewertung vorgegeben hat. Ob der Klägerin der Höhe nach die eingeklagte Summe zusteht, ist noch zu überprüfen.

(BGH, Urteil v. 14.2.2019, IX ZR 181/17)


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