Wann kann ein Sachverhalt mit Nichtwissen bestritten werden?

Wer einen ihn schädigenden Unfall nicht nachweisen kann, hat gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung des Gegners schlechte Karten. Sie darf ein von dem Geschädigten behauptetes Unfallgeschehen aber nur dann mit Nichtwissen bestreiten, wenn sie vergeblich das ihr Zumutbare unternommen hat, um Kenntnisse über den behaupteten Schadenshergang zu erlangen.

Eine Kfz-Haftpflichtversicherung wurde vom vorgeblichen Geschädigten wegen eines Unfallgeschehens im November 2016 in Anspruch genommen. An einer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage soll das bei der beklagten Versicherung versicherte Kfz von hinten auf seinen vor der Ampelanlage wartenden PKW aufgefahren sein.

Fahrer nicht ermittelbar

Als der vorgeblich Geschädigte die Versicherung auf Schadenersatz in Anspruch nahm, bestritt diese das Unfallereignis mit Nichtwissen. Der beklagten Haftpflichtversicherung lag keine überprüfbare Schadensmeldung zu diesem Vorgang vor. Nach Meldung ihres Versicherungsnehmers hatte dieser das Fahrzeug bereits vor dem angeblichen Unfalltag an eine Person veräußert, die nicht mehr auffindbar war.

Die vom Erwerber zugesagte umgehende Ummeldung des Pkws auf den Käufer sei nicht erfolgt. Ermittlungen der Versicherung zur Identität des Käufers unter den im Kaufvertrag angegebenen Personalien blieben erfolglos. Der Versicherungsnehmer erstattete gegen den Fahrzeugerwerber wegen unrichtig angegebener Personalien Strafanzeige, die aber ebenfalls zu nichts führte.

Versicherung bestreitet Unfallgeschehen mit Nichtwissen

Sowohl das vom Geschädigten angerufene AG als auch in zweiter Instanz das LG wiesen den von ihm geltend gemachten Schadensersatzanspruch mit der Begründung ab, er habe den von ihm behaupteten Geschehensablauf nicht bewiesen. Die beklagte Versicherung sei berechtigt gewesen, den behaupteten Unfallhergang mit Nichtwissen zu bestreiten.

Kläger trägt Beweislast für Unfallbeteiligung des Versicherungsnehmers

Der BGH bestätigten die vorinstanzlichen Urteile. Nach Wertung des BGH hatte der Kläger den von ihm behaupteten Schadensersatzanspruch gegenüber der Versicherung als Direktanspruch gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 122, 95 Abs. 1 VVG zwar schlüssig vorgetragen. Er war aber beweisfällig geblieben. Der Direktanspruch gegenüber der Pflichtversicherung setze gemäß § 1 PflVG die Unfallbeteiligung eines bei der beklagten Versicherung haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs voraus.

BGH klärt Verhältnis von Behaupten und Bestreiten

Nach dem Diktum des BGH hat die beklagte Versicherung die Unfallbeteiligung ihres Versicherungsnehmers in zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten. Maßgebliche Vorschrift für die Beurteilung der Zulässigkeit dieser Form des Bestreitens sei § 138 ZPO.

  • Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO habe jede Partei sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen erklären.
  • Gemäß § 138 Abs. 3 ZPO seien Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen.
  • Zugestanden seien danach auch Tatsachen, die nicht in zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten werden.
  • Gemäß § 138 Abs. 4 ZPO dürfe eine Behauptung der Gegenseite dann mit Nichtwissen bestritten werden, wenn die bestrittene Tatsache weder eine eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen ist.

Begrenzte Nachforschungspflicht der Versicherung

Bei der Bewertung der Zulässigkeit des Bestreitens mit Nichtwissens durch die beklagte Versicherung stellte der BGH darauf ab, dass das Unfallgeschehen nicht Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Versicherung bzw. der für sie handelnden Organe gewesen ist.

Eine Erklärung mit Nichtwissen sei aber auch außerhalb des Bereichs der eigenen Wahrnehmung unzulässig, wenn eine Informationspflicht der Partei hinsichtlich der vom Gegner behaupteten Tatsachen besteht. Eine solche Erkundigungspflicht bestehe immer dann, wenn die maßgeblichen Tatsachen Personen bekannt sind, die unter Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung der betreffenden Partei tätig geworden sind. (BGH, Urteil v. 8.1.2019, II ZR 139/17).

Auch im Fall des Forderungsübergangs müsse der neue Schuldner solche Nachforschungen anstellen. Die Anforderungen hieran dürften allerdings nicht überspannt werden, sondern müssten sich im Rahmen des Zumutbaren halten (BGH, Urteil v. 12.11.2015, I ZR 167/14).

Kein Gleichlauf der Darlegungslast

Entgegen der Auffassung der Revision bedeutet diese Informationspflicht im Verhältnis von Versicherung und Versicherungsnehmer nach dem Urteil des BGH aber keinen Gleichlauf der Darlegungslast, etwa weil beide als Gesamtschuldner haften. Eine solche Schlussfolgerung würde im Ergebnis nämlich die Zurechnung von Kenntnissen Dritter auf eine Partei bedeuten, die die erforderliche Kenntnis aus eigener Wahrnehmung nicht hat und sich diese auch nicht beschaffen kann.

Haftpflichtversicherer und Versicherter sind nicht Einheit zu betrachten

Dass Haftpflichtversicherer und Versicherter nicht grundsätzlich als Einheit behandelt werden, zeige sich auch daran, dass diese im Fall einer gegen beide gerichteten Klage nur einfache Streitgenossen seien, die im Prozess gemäß §§ 61, 69 ZPO ihre jeweils eigenen Interessen verfolgen dürfen.

So könne die Haftpflichtversicherung in den Fällen des Verdachtes einer Unfallmanipulation den Unfallhergang auch dann mit Nichtwissen bestreiten, wenn sie neben dem Versicherten verklagt wird oder als dessen Streithelfer auftritt (BGH, Beschluss v. 25.3.2014, VI ZR 438/13).

Versicherung hat das ihr Zumutbare getan

Für den anhängigen Fall folgerte der BGH aus diesen Erwägungen, dass die beklagte Versicherung die ihr zur Verfügung stehenden Informationsquellen im Rahmen des § 138 Abs. 4 ZPO in zumutbarer Weise ausgeschöpft habe. Weitere Informationsquellen habe die Versicherung nicht. Weitere Nachforschungen seien ihr daher nicht zumutbar. Unter diesen Voraussetzungen müsse es der Versicherung erlaubt sein, den vom Kläger behaupteten Unfallhergang mit Nichtwissen zu bestreiten.

Unfallgeschädigter Kläger hat Beweis für eine in zulässiger Weise bestrittene Tatsache nicht erbracht

Da der Kläger für das von ihm geschilderte und von der Gegenseite in zulässiger Weise bestrittene Unfallgeschehen keinerlei Beweismittel angegeben hatte, hat er nach dem Urteil des BGH im Ergebnis die behauptete Unfallbeteiligung des bei der beklagten Versicherung haftpflichtversicherten Fahrzeuges nicht bewiesen. Damit hatten die Vorinstanzen die Klage zu Recht abgewiesen.

(BGH, Urteil v. 23.7.2019, VI ZR 337/18)

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Schlagworte zum Thema:  Kfz-Versicherung, Beweislast, Schadensersatz