Vom Beweisbeschluss völlig losgelöster Sachverständiger ist befangen
Das Verhalten eines Sachverständigen kann die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn er über das Beweisthema und den Gutachtenauftrag hinausgeht, ohne zuvor gegenüber dem Gericht eine Ergänzung des Beweisbeschlusses angeregt zu haben. In diesem Zusammenhang gilt: Mehrere Gründe, die für sich betrachtet (noch) nicht ausreichen, können in ihrer Gesamtschau der ablehnenden Partei berechtigterweise Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln.
In dem entschiedenen Fall konnten und durften aufgrund des Sachverständigengutachtens bei der Beklagten Zweifel daran aufkommen, ob der Sachverständige ihr mit der nötigen Unvoreingenommenheit gegenübersteht, befand das Gericht. In dem Fall sollte durch Sachverständigengutachten Beweis erhoben werden über die Behauptung der Klägerin, „wonach sie von den Ärzten der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe (und) Reproduktionsmedizin der Beklagten im Zeitraum vom 17.6. - 22.8.2007 nicht entsprechend der damals geltenden, objektivierbaren und geschuldeten fachmedizinischen Leitlinien und Regeln der ärztlichen Kunst behandelt worden ist...“.
Sachverständiger unterbreitet Vorschläge zur Schmerzensgeldhöhe
Statt nun der Frage nach einem Behandlungsfehler nachzugehen, ereiferte sich der Sachverständige an dem Aufklärungsbogen der Klinik. Außerdem machte er – ohne dass dies vom Beweisthema gedeckt war - rechtliche Ausführungen über die Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes. „Eine Entschädigung der Patientin (...) für erlittene Schmerzen, lange Immobilisation und Krankenhausaufenthalt, verlorene Lebenszeit und Lebensqualität i. H. v. mindestens 50.000 € aus der Haftpflichtversicherung der Universitätsfrauenklinik H. erscheint aus Sicht des Gutachters als gerechtfertigt. Eine Klinik ist sowohl für gut geschultes Personal als auch für eine optimale und moderne Geräteausstattung verantwortlich, besonders in der Geburtshilfe, wo das Risiko für zwei Menschenleben besteht."
Rahmen des Auftrags erheblich gesprengt
Es sprenge den Gutachtenauftrag ganz erheblich, „wenn sich der Sachverständige mit diesen Ausführungen zu einer ihm nicht zustehenden (im Kern rechtlichen) Bewertung von schmerzensgeldrelevanten Bemessungsfaktoren aufschwingt. Das konnte und durfte bei der Beklagten nicht zuletzt auch deshalb die Besorgnis der Befangenheit erwecken, weil diese Faktoren (was der Sachverständige bei seinen Ausführungen außer Acht lässt) teilweise zwischen den Parteien streitig sind“, betonte das Gericht.
Der Sachverständige habe „eigeninitiativ" und der Diktion nach mit moralisch gefärbtem Unterton - ein Schmerzensgeld für angemessen erachtet, das die von der Klägerin in der Klageschrift genannte Mindestangemessenheitsgrenze um immerhin 20.000 € überschritt.
(OLG Naumburg, Beschluss v. 30.12.2011, 10 W 69/11).
-
Italienische Bußgeldwelle trifft deutsche Autofahrer
2.208
-
Klagerücknahme oder Erledigungserklärung?
1.699
-
Wohnrecht auf Lebenszeit trotz Umzugs ins Pflegeheim?
1.6762
-
Gerichtliche Ladungen richtig lesen und verstehen
1.615
-
Wie kann die Verjährung verhindert werden?
1.509
-
Überbau und Konsequenzen – wenn die Grenze zum Nachbargrundstück ignoriert wurde
1.392
-
Brief- und Fernmelde-/ Kommunikationsgeheimnis: Was ist erlaubt, was strafbar?
1.353
-
Wann muss eine öffentliche Ausschreibung erfolgen?
1.243
-
Verdacht der Befangenheit auf Grund des Verhaltens des Richters
1.115
-
Formwirksamkeit von Dokumenten mit eingescannter Unterschrift
1.0471
-
Fehler des Zustellers geht nicht zulasten einer Prozesspartei
20.11.2024
-
Bundestag beschließt neues Leitentscheidungsverfahren beim BGH
14.10.2024
-
Fristverlängerungsanträge widerlegen die Dringlichkeit
07.10.2024
-
Gesetzentwurf zum zivilgerichtlichen Onlineverfahren
10.09.2024
-
Zurückweisung der Berufung nicht vor Eingang der Berufungsbegründung
22.08.2024
-
Kanzleischlüssel vergessen, Berufungsfrist versäumt
15.08.2024
-
Abschlussbericht zum Projekt „Digitales Basisdokument“
14.08.2024
-
Das BMJ plant weitere Digitalisierungsschritte für die Justiz
03.07.2024
-
Nach Anwaltsfehler muss Ex-Ehemann Unterhalt zahlen
01.07.2024
-
Klagerücknahme oder Erledigungserklärung?
25.06.2024