Leitsatz (amtlich)

1. Ein Sachverständiger, der das Vorliegen eines Behandlungsfehlers prüfen soll, überschreitet seinen Gutachtenauftrag, wenn er sich ausführlich mit der Frage auseinandersetzt, ob der Patient hinreichend aufgeklärt worden ist und anschließend die Führung der Dokumentation einer detaillierten Kritik unterzieht und zwar nicht im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit des Behandlungsverlaufs, sondern im Sinne einer äußeren Ordnung. Befasst er sich abschließend mit der Berechtigung einer bestimmten Schmerzensgeldhöhe unter Betrachtung - im Einzelnen z. Tl. strittiger - Bemessungsfaktoren, entscheidet also über Rechtsfragen, so ist seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründet.

2. Aus der Begründetheit eines Ablehnungsgesuches folgt nicht zugleich, dass dem Sachverständigen die Vergütung für seine Tätigkeit zu versagen ist. Dieses setzt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus (hier verneint).

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Beschluss vom 12.09.2011; Aktenzeichen 6 O 631/10)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 4.10.2011 wird der Beschluss des LG Halle vom 12.9.2011 abgeändert.

Das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 25.7.2011 gegen den Sachverständigen Prof. Dr. med. habil. H. D. ist begründet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Klägerin nach einem Beschwerdewert von 12.000 EUR auferlegt.

 

Gründe

Die gem. §§ 406 Abs. 5, 2. HS. ZPO i.V.m. §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 und 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des LG Halle vom 12.9.2011, mit dem der zuständige Einzelrichter das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 25.7.2011 für unbegründet erklärte, hat Erfolg. Der Ablehnungsantrag der Beklagten ist zulässig und begründet.

1. Das in seiner Zulässigkeit unzweifelhafte Ablehnungsgesuch vom 25.7.2011 ist auch in der Sache erfolgreich.

a) Ein gerichtlicher Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung des Richters berechtigen, abgelehnt werden (§ 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hier ist der relative Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit gegeben (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO). Für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich parteiisch ist oder sich selbst für befangen hält oder ob das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr genügt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit, wenn von deren Standpunkt aus genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen einer verständigen Partei aus der Warte des Ablehnenden geeignet sind, Zweifel an Unparteilichkeit des Sachverständigen zu erregen (BGH, NJW-RR 1987, 893; Musielak/Huber, 8. Aufl., § 406 ZPO Rz. 4 m.w.N.). Subjektive und unvernünftige Gedankengänge der ablehnenden Partei haben dabei außen vor zu bleiben. Mehrere Tatsachen, die für sich alleine genommen eine Befangenheit (noch) nicht begründen, können in ihrer Gesamtheit aus der Sicht der ablehnenden Partei den Anschein der Parteilichkeit des Sachverständigen begründen (OLG München, Beschl. v. 4.7.2005 - 1 W 1010/05, zit. nach juris; Musielak/Huber, 8. Aufl., § 406 ZPO Rz. 4, 11 a.E.).

Soweit es die - hier einschlägige - Fallgruppe des Verhaltens des Sachverständigen im Prozess anbetrifft, kann es die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen begründen, wenn er über das Beweisthema und den Gutachtenauftrag hinausgeht, ohne zuvor gegenüber dem Gericht eine Ergänzung des Beweisbeschlusses angeregt zu haben (OLG Bamberg, Beschl. v. 22.3.1993 - 8 W 5/93, zitiert nach juris; OLG Celle NJW-RR 2003, 135; OLG Jena FamRZ 2008, 284; Musielak/Huber, 8. Aufl., § 406 ZPO Rz. 9). Auch in diesem Zusammenhang gilt: Mehrere Gründe, die für sich betrachtet (noch) nicht ausreichen, können in ihrer Gesamtschau der ablehnenden Partei berechtigterweise Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (Musielak/Huber, 8. Aufl., § 406 ZPO Rz. 11 a.E.).

b) Hier konnten und durften nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens vom 1.7.2011 bei der Beklagten Zweifel daran aufkommen, ob der Sachverständige ihr mit der nötigen Unvoreingenommenheit gegenübersteht. Auch aus dem maßgeblichen Blickwinkel einer ruhig und besonnen denkenden und abwägenden Partei, die sich nicht von subjektiven, unvernünftigen Vorstellungen leiten lässt, finden sich in dem Sachverständigengutachten diverse Passagen, die - jedenfalls in ihrer Gesamtschau - die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen rechtfertigen. Bevor die insoweit gravierendsten Gutachtenpassagen zitiert werden, sei zunächst der Inhalt des Beweisbeschlusses vom 7.3.2011 in den Fokus gerückt. Danach sollte Beweis erhoben werden über die Behauptung der Klägerin,

"wonach sie von den Ärzten der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe [und] Reproduktionsmedizin der Beklagten im Zeitraum vom 17.06. - 22.8.2007 nicht entsprechend der damals geltenden, objektivierbaren und geschuldeten fachmedizinischen Leitlinien und Regeln der ärztlichen Kunst behande...

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