Pflichtverteidiger wegen Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage

Klar, wenn dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird oder ihm ein Berufsverbot droht, dann muss das Strafgericht ihm einen Pflichtverteidiger zur Seite stellen. Doch wie ist in anderen Fällen zu entscheiden? Wann wird es schwierig und ein Pflichtverteidiger zu Pflicht?

Doch das geht qua Gesetz nicht immer. So heißt es in § 140 Absatz 2 StPO, dass der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger bestellt, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Doch wann ist die Sach- und Rechtslage schon schwierig?

Faires Verfahren zwingt zur Pflichtverteidigerbestellung

Diese Frage beschäftigte kürzlich das Landgericht Waldshut-Tiengen. Gegen einen 27-jährigen Angeklagten war beim Amtsgericht Waldshut-Tiengen ein Strafverfahren anhängig wegen des Vorwurfs des Betruges in Tateinheit mit falscher uneidlicher Aussage, begangen durch wahrheitswidrige Angaben als Zeuge in einem sozialgerichtlichen Verfahren. Nachdem der Angeklagte gegen den daraufhin erlassenen Strafbefehl Einspruch eingelegt hatte, terminierte das Gericht die Hauptverhandlung.

Der Verteidiger des Angeklagten stellte daraufhin den Antrag, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen, was das Gericht ablehnte. Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte Erfolg. Das LG Waldshut-Tiengen entschied: Die Beiordnung eines Verteidigers ist wegen Schwierigkeit der Sachlage gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten.

„Als schwierig ist die Sachlage eines Verfahrens u. a. dann zu bewerten, wenn die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis nicht umfassend vorbereitet werden kann. Da nur ein Verteidiger Akteneinsicht erhält, würde die Nichtbeiordnung eines Verteidigers in derartigen Fällen dem Gebot eines fairen Verfahrens widersprechen“, betonte das Gericht.

Keine Auseinandersetzung mit dem Tatvorwurf möglich

So liegen die Dinge auch hier: Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, er habe für seine damalige Lebensgefährtin durch unrichtige Angaben über das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft Sozialleistungen erschlichen, auf die kein Anspruch bestanden habe. „Ein Angeklagter, der - worauf die Ausführungen der Verteidigung hindeuten - den Tatvorwurf in der Hauptverhandlung bestreiten wird, besitzt in einem solchen Fall wenig Möglichkeit, sich durch eigene Äußerungen zur Sachlage zu verteidigen. Eine eingehende Auseinandersetzung mit den Belastungsindizien und deren lückenlose Gesamtwürdigung sind dann von besonderer Bedeutung“, befand das Gericht.

Gemessen daran sei eine ordnungsgemäße Verteidigung nur dann möglich, wenn sich der Angeklagte mit den Ermittlungsergebnissen vor der Hauptverhandlung ähnlich hat befassen können wie Gericht und Staatsanwaltschaft. Dies lässt  sich aber einschließlich der beigezogenen Akten des Sozialgerichts Freiburg nur durch Akteneinsicht bewerkstelligen, und das Recht hierzu hat allein der Verteidiger (§ 147 StPO).
(LG Waldshut-Tiengen, Urteil vom 19.09.2013, 5 Cs 13 Js 7390/12).

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