Pflichtverteidiger auch bei geringer Straferwartung bestellen

Bisher galt die Regel, dass einem Angeklagten dann ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt werden muss, wenn er eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr zu erwarten hat. Bei einer geringeren Strafe muss das Gericht den Pflichtverteidiger bestellen, wenn aufgrund einer vorherigen Verurteilung eine Gesamtstrafe gebildet wird.

Jetzt hat das OLG Naumburg zum Thema Bestellung eines Pflichtverteidigers entschieden, dass auch eine künftig zu erwartende weitere Verurteilung dann zu berücksichtigen ist, wenn eine Gesamtstrafenbildung möglich ist.

"Nur" eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte das Amtsgericht Magdeburg den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, begangen am 3. Juni 2011, zur Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Dagegen richtete sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und das Verfahren beanstandet. Insbesondere rügt er, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Verteidigers stattgefunden hat, obwohl ein solcher nach §§ 338 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO notwendig war.

Weitere Sache anhängig

Das war noch nicht alles, denn parallel zum hier anhängigen Verfahren Magdeburg war beim Jugendschöffengericht Magdeburg eine weitere Sache anhängig. Es ging um eine weitere gefährliche Körperverletzung, begangen am 2. Juli 2011. In jenem Verfahren hatte der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts dem Angeklagten wegen der „Schwere der Tat" gemäß § 140 Abs. 2 StPO einen Pflichtverteidiger beigeordnet. In jener Sache war Termin zur Hauptverhandlung auf den 9. April 2013 anberaumt.

Pflichtverteidigerbestellung darf nicht von Zufälligkeiten abhängen

Bei der Beurteilung der Schwere der Tat im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO ist stets zu berücksichtigen, ob gegen den Beschuldigten auch weitere Verfahren anhängig sind, hinsichtlich derer eine Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt, erklärten die Naumburger Richter. „Daraus folgt: Drohen dem Angeklagten in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal der „Schwere der Tat" im Sinne des § 140 StPO begründet, ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig. Anderenfalls hinge es von bloßen Zufälligkeiten, nämlich der Frage, ob die Verfahren verbunden werden oder nicht ab, ob dem Angeklagten ein Verteidiger beizuordnen ist“, befand das Gericht.

(OLG Naumburg, Urteil vom 22.5.2013, 2 Ss 65/13).

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