Schmerzensgeld kompetent berechnen und durchsetzen
Was ist Schmerzensgeld rechtlich?
Vor der Geltendmachung von Schmerzensgeld sollten Anwälte sich über die rechtlichen Grundlagen eines Schmerzensgeldanspruches im Klaren sein. Die maßgebliche gesetzliche Regelung findet sich in § 253 BGB. Danach ist Schmerzensgeld eine „billige Entschädigung in Geld“ für immaterielle Schäden im Fall einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung. Eine weitere gesetzliche Bestimmung findet sich in § 844 Abs. 3 BGB. Danach steht im Fall der Tötung eines Menschen demjenigen, der in einem besonderen Näheverhältnis zu dem Getöteten stand, eine angemessene Entschädigung für das zugefügte seelische Leid zu (Hinterbliebenengeld).
Grundvoraussetzungen eines Schmerzensgeldanspruches
Voraussetzung für die Geltendmachung von Schmerzensgeld ist gemäß § 253 Abs. 1 Satz 1 BGB i.d.R.
- das Bestehen eines Schadensersatzanspruches sowie
- eine gesetzliche Bestimmung, die eine immaterielle Entschädigung vorsieht.
Schmerzensgeld nicht nur bei verschuldeten Rechtsgutsverletzungen
Weitere Voraussetzung für einen Anspruch auf Schmerzensgeld ist meist die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung eines geschützten Rechtsguts oder die schuldhafte Herbeiführung psychischer Beeinträchtigungen. Verschulden wird aber nicht immer vorausgesetzt. Schmerzensgeldansprüche kommen auch bei Schadenersatzansprüchen aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung, so im Straßenverkehrsrecht gemäß §§ 7 ff StVG oder ein Luftverkehrsrecht nach § 33 LuftVG in Betracht.
Schmerzensgeldermittlung nach Verkehrsunfällen
In der Anwaltspraxis dürfte die Geltendmachung von Schmerzensgeld nach Verkehrsunfällen einer der häufigsten Anwendungsfälle sein. Die Prüfung, ob ein Schmerzensgeldanspruch in Betracht kommt, sollte zweckmäßigerweise folgende Punkte berücksichtigen:
- Ist eine körperliche Verletzung oder psychische Beeinträchtigung (Schockschaden) hinreichend belegt und nachgewiesen (Dokumentation durch Fotos, durch Arztberichte, durch eine psychiatrische Untersuchung)?
- Ist die Kausalität des Unfalls für die eingetretenen Schäden eindeutig belegt oder aus irgendwelchen Gründen zweifelhaft?
- Beruht die Schädigung auf einem Verschulden des Unfallgegners oder beruht sie im wesentlichen auf dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung?
- Welches Ausmaß hat die körperliche Beeinträchtigung (z.B. Einschränkung der Sehkraft oder vollständiger Sehkraftverlust)?
- Über welchen Zeitraum bestehen die körperlichen oder psychischen Einschränkungen (Langzeitfolgen)?
- Wie hoch ist die Leidensintensität und wie verändert sich diese im Laufe der Zeit?
- Ist eine stationäre oder bloß ambulante Heilbehandlung erforderlich?
- Über welchen Zeitraum ist eine Heilbehandlung erforderlich?
- Wie hoch ist das Maß des begangenen Unrechts? Hat der Schadensverursacher vorsätzlich, grob oder leicht fahrlässig gehandelt?
Nur mit einer sorgfältigen Klärung dieser Punkte, ist die Ermittlung der realistischerweise vor Gericht erreichbaren Schmerzensgeldhöhe möglich.
Doppelfunktion des Schmerzensgeldes
Die Erforderlichkeit der Klärung dieser Einzelfragen folgt auch aus dem Wesen des Schmerzensgeldes. Der Anspruch auf Schmerzensgeld soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen (Ausgleichsfunktion) und den Geschädigten zugleich eine Genugtuung (Genugtuungsfunktion) für erlebtes Unrecht verschaffen. Aus der Genugtuungsfunktion folgt u.a., dass im Fall einer vorsätzlichen Körperverletzung ein höheres Schmerzensgeld gewährt wird als bei bloßer Fahrlässigkeit (BGH, Urteil v. 15.2.2022, VI ZR 937/20).
Gesetzliche Vorgaben für die Höhe des Schmerzensgeldes fehlen
Leider gibt das Gesetz keine klaren Anhaltspunkte für die Berechnung der Höhe eines Schmerzensgeldanspruches. Die Gerichte orientieren sich in der Regel an den geläufigen Schmerzensgeldtabellen, die auf ergangenen Gerichtsurteilen zur Höhe des Schmerzensgeldes ergangen sind. Grundsätzlich ist seit einiger Zeit in der Rechtsprechung bei erheblichen Verletzungsfolgen eine Tendenz zu höheren Schmerzensgeldbeträgen zu verspüren. Bei kleineren Schäden ist eine gegenteilige Entwicklung festzustellen. So wird im Fall eines sogenannten HWS-Syndroms (Schleudertrauma) heute ein deutlich geringeres Schmerzensgeld zugesprochen als noch vor einigen Jahren. Bei einem einfachen HWS-Syndrom sind in der Regel nicht mehr als 500 EUR zu erwarten, manchmal auch kein Schmerzensgeld (AG Recklinghausen, Urteil v. 25.5.2022, 16 C 21/20).
Einzelfälle
Den Gerichten steht bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes ein weites Ermessen zu. Grundsätzlich ist es sinnvoll, einige richtungsweisende Entscheidungen zu kennen:
- Ein besonders hohes Schmerzensgeld hat das OLG Frankfurt dem Sohn einer Patientin wegen ärztlicher Behandlungsfehler in der Geburtsklinik zugesprochen. Eine andauernde Behandlung der schwangeren Hochrisiko-Patientin in einer Geburtsklinik ohne die Möglichkeit einer notfallmäßigen Intensivversorgung mit der Folge schwerster Gehirnschäden des Sohnes nach der Geburt veranlasste das OLG, ein Schmerzensgeld in Höhe von 720.000 EUR anzusetzen (OLG Frankfurt, Urteil v. 18.2.2025, 8 U 8/21).
- Das OLG Hamm hat im Fall einer Brustwirbelfraktur verbunden mit einem 4-tägigen Krankenhausaufenthalt ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 EUR für angemessen erachtet. Hierbei hat das Gericht ein 50-prozentiges Mitverschulden des Geschädigten berücksichtigt (OLG Hamm, Beschluss v. 27.5.2019, 31 U 23/19).
- Das OLG Düsseldorf hat einem Fußgänger, der auf dem Gehweg von einem Kraftfahrzeug angefahren wurde, mit der Folge multipler Prellungen an Fuß und Schulter, einer Verletzung der Hüfte und einer schweren psychischen Anpassungsstörung mit Angstsymptomen ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.400 EUR zuerkannt. Hierbei hat das Gericht zuungunsten des Geschädigten berücksichtigt, dass dieser seine Angststörung nicht psychiatrisch hat behandeln lassen (OLG Düsseldorf, Urteil v. 13.11.2018, I-1 U 67/17).
Schmerzensgeldähnlicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld
Mit der Einführung des § 844 Abs. 3 BGB wurde die Rechtsstellung naher Angehöriger bei Tötung eines Menschen deutlich verbessert. Das dort geregelte Hinterbliebenengeld soll einen Ausgleich für das Leid durch Verlust eines nahen Menschen bilden, ohne dass Angehörige eine eigene Verletzung nachweisen müssen. In seinem Wesen ist es Hinterbliebenengeld ein schmerzensgeldähnlicher Ausgleichsanspruch für den Verlust eines nahen Menschen.
Weitere Schmerzensgeldansprüche
Häufige Anwendungsfälle von Schmerzensgeldansprüchen sind Arbeitsunfälle und Gesundheitsschäden nach ärztlichen Behandlungsfehlern. Weitere Schmerzensgeldansprüche betreffen die Verletzung des Rechts am eigenen Bild gemäß § 823 Abs. 1 BGB, §§ 22, 23 KunsturhebG oder des Urheberrechts gemäß § 97 Abs. 2 UrhG. Ein dem Schmerzensgeld nahestehender Anspruch ist das Recht auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Praxistipp
Gleich aufgrund welcher Rechtsverletzungen und in welcher Lebenssituation Geschädigte Schmerzensgeldansprüche geltend machen wollen, die Berechnung der Höhe erfolgt immer nach ähnlichen Grundsätzen. Ein Schmerzensgeldrechner kann dabei in der anwaltlichen Praxis als nützliches Werkzeug zur Berechnung eines Schmerzensgeldanspruches im konkreten Fall eingesetzt werden. Ein solcher ermöglicht mehr als nur eine erste Orientierung, entbindet den Anwalt aber natürlich nicht von seiner Pflicht, weitere besondere Umstände des ihm übertragenen Mandats sorgfältig zu prüfen und zu berücksichtigen.
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