Kein jederzeitiges Kündigungsrecht bei Online-Partnervermittlung
In einem Musterfeststellungsverfahren hatte der BGH über die Musterklage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV) zu den von einem Online-Partnervermittlungsportal verwendeten Vertragsklauseln zu Kündigungsmöglichkeiten und automatischen Vertragsverlängerungen zu entscheiden.
Wahl zwischen verschiedenen Mitgliedschaftsformen
Die Musterbeklagte betreibt ein Online-Partnervermittlungsportal. Die User können zwischen einer kostenlosen Basismitgliedschaft und einer kostenpflichtigen Premiummitgliedschaft wählen. Bei der Premiummitgliedschaft bot die Musterbeklagte zeitlich gestaffelt 3 Optionen an:
- Erstlaufzeit von 6 Monaten: 479,40 EUR (79,90 EUR monatlich);
- Erstlaufzeit von 12 Monaten, 790,80 EUR;
- Erstlaufzeit von 24 Monaten, 1101,60 EUR.
Die Verträge enthielten AGB-Klauseln, wonach sich bei sämtlichen Vertragstypen der Vertrag automatisch um 12 Monate verlängerte, wenn der Kunde nicht 12 Wochen vor Ablauf der Erstlaufzeit kündigte.
VZBV rügt unangemessene Verbraucherbenachteiligung
Der VZBV beanstandete die verwendeten Kündigungsregelungen. Er vertrat die Auffassung, dass es sich bei einer Partnervermittlung um sogenannte Dienste höherer Art handelt, bei denen der Kunde dem Dienstleister besonderes Vertrauen entgegenbringt. Für ein solches Vertragsverhältnis sieht § 627 Abs. 1 BGB eine jederzeitige Kündigungsmöglichkeit des Auftraggebers vor. Die in den AGB der Musterbeklagten vorgesehenen Kündigungsfristen für Premiumverträge waren nach Auffassung des VZBV wegen einer unzulässigen Abweichung von dieser gesetzlichen Regelung unwirksam. Im Übrigen würden die Verbraucher zusätzlich durch die in den AGB vorgesehenen unangemessenen, automatischen Vertragsverlängerungen benachteiligt.
BGH entscheidet weitgehend zugunsten der Musterbeklagten
Das erstinstanzlich zuständige OLG entschied teilweise zugunsten des Klägers und erklärte die verwendeten Verlängerungsklauseln bei Premiummitgliedschaften mit Erstlaufzeiten von 6 und 12 Monaten wegen unangemessener Benachteiligung der Verbraucher für unwirksam. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Revision des Musterklägers hat der BGH zurückgewiesen, die Revision der Musterbeklagten hatte teilweise Erfolg.
Automatisierte Partnervermittlung ist kein Dienst höherer Art
Der 3. Senat vertrat die Auffassung, dass die nach § 627 Abs. 1 BGB vorgesehene jederzeitige Kündigungsmöglichkeit für sogenannte Dienstleistungen höherer Art im konkreten Fall nicht einschlägig ist. Die von der Musterbeklagten bereitgestellte Dienstleistung bestehe in der Bereitstellung einer Onlinedatenbank, das die Partnersuche ausschließlich durch komplett automatisierte Vorgänge unter Verwendung von Algorithmen unterstütze. Diese Dienstleistung erfordere kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Dienstleister und Auftraggeber, sondern erfolge ohne persönlichen Kontakt zwischen den Vertragspartnern allein auf der Grundlage digitaler Abläufe. Einer jederzeitigen Kündigungsmöglichkeit gemäß § 627 BGB bedürfe es in Ermangelung eines besonderen Vertrauensverhältnisses daher nicht.
Automatische Vertragsverlängerungen teilweise unwirksam
Auch die Klauseln zur automatischen Vertragsverlängerung bei Premiummitgliedschaften benachteiligen die Verbraucher nach der Entscheidung des BGH nicht in unangemessener Weise, soweit es sich um Verträge mit einer Erstlaufzeit von 12 bzw. 24 Monaten handelt. Etwas anderes gelte für Verträge mit einer Erstlaufzeit von 6 Monaten. Die vorgesehene automatische Verlängerung um 12 Monate bewertete der BGH in diesem Fall aus 2 Gründen als unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB:
- Die Verlängerung um 12 Monate bei einer Erstlaufzeit von 6 Monaten beinhalte für den Verlängerungszeitraum im Vergleich zur Erstlaufzeit eine finanziell nahezu doppelt so hohe Belastung. Dies sei unangemessen.
- Daneben werde von denjenigen, die vor Ablauf der Erstlaufzeit eine Kündigung unterlassen, ungleich mehr gefordert als von denjenigen, die fristgerecht kündigen und nach Ablauf der 6-monatigen Erstlaufzeit - was ja immer möglich sei - einen neuen 2. Vertrag schließen. In dieser Höherbelastung liege ebenfalls eine unangemessene Benachteiligung dieser Kundschaft.
Klage des VZBV nur zum kleineren Teil erfolgreich
Im Ergebnis hatte die Klage des VZBV damit nur zu einem kleineren Teil, nämlich der Unwirksamkeit der automatischen Vertragsverlängerung bei 6-monatigen Erstmitgliedschaften, Erfolg.
(BGH, Urteil vom 17.7.2025, III ZR 388/23)
Hintergrund:
Das Urteil des BGH betrifft Verträge, die bis zum 28.2.2022 geschlossen worden. Zum 1.3.2022 wurde die Vorschrift des § 309 Nr. 9 BGB geändert. Seither sind bei längerfristigen Verträgen über regelmäßige Lieferungen von Waren bzw. regelmäßige Dienst- und Werkleistungen Klauseln unwirksam, die
- eine bindende Vertragslaufzeit von mehr als 2 Jahren vorsehen,
- eine stillschweigende Verlängerung des Vertragsverhältnisses vorsehen, es sei denn das Vertragsverhältnis wird nur auf unbestimmte Zeit verlängert und der Vertragspartner hat ein jederzeitiges Kündigungsrecht mit einer Frist von höchstens einem Monat,
- eine längere Kündigungsfrist als einen Monat vor Ablauf der zunächst vorgesehenen Vertragsdauer vorsehen.
-
Wohnrecht auf Lebenszeit trotz Umzugs ins Pflegeheim?
1.2082
-
Einseitige Preisanpassung von Amazon Prime ist rechtswidrig
819
-
Klagerücknahme oder Erledigungserklärung?
700
-
Wie kann die Verjährung verhindert werden?
677
-
Überbau und Konsequenzen – wenn die Grenze zum Nachbargrundstück ignoriert wurde
614
-
Minderung schlägt auf Betriebskostenabrechnung durch
533
-
Diese Compliance-Regelungen gelten für Geschenke und Einladungen
475
-
Eigenbedarfskündigung bei Senioren – Ausschluss wegen unzumutbarer Härte?
456
-
Wann muss eine öffentliche Ausschreibung erfolgen?
437
-
Patronatserklärungen: Wirkung, Varianten und praktische Bedeutung
408
-
Wucherähnliches Sale-and-rent-back-Geschäft
17.11.2025
-
Einseitige Preisanpassung von Amazon Prime ist rechtswidrig
06.11.2025
-
Sind die Bonus-Apps der Discounter kostenlos?
29.10.2025
-
Mann tritt beim Aussteigen in Schlagloch: Keine Amtshaftung
27.10.2025
-
Supermarkt haftet nicht für Ausrutscher auf Salatblatt
08.10.2025
-
Kündigung einer Reise wegen eines nicht renovierten Hotelzimmers
18.09.2025
-
Kein Auskunftsanspruch gegen E-Mail-Hosting-Dienst
17.09.2025
-
BGH erleichtert Schadensersatz bei Glättesturz
11.09.2025
-
Unverzügliche Meldung von nicht autorisierten Kontobewegungen
18.08.2025
-
Schmerzensgeld kompetent berechnen und durchsetzen
11.08.2025