Unterhaltsrechtsreform soll stark mitbetreuende Väter entlasten

Die Familienministerin plant eine stärkere Berücksichtigung von Betreuungsleistungen unterhaltspflichtiger Väter (oder Mütter). Wer als Unterhaltspflichtiger bei der Betreuung der vom anderen Elternteil betreuten Kinder überdurchschnittlich engagiert mitwirkt, soll finanziell entlastet werden. Wer sich sehr oft um seine Kinder kümmert, soll weniger Unterhalt zahlen müssen.

Übernimmt heute eine vom Vater getrennt lebende Mutter im wesentlichen die Betreuung des gemeinsamen Kindes, muss er in der Regel den vollen Unterhalt für sein Kind bezahlen. Der Zeitaufwand, den er seinerseits für die Erziehung seines Kindes aufbringt, wird beim Unterhalt in der Regel nicht berücksichtigt - selbst dann nicht, wenn das Kind regelmäßig über nicht unwesentliche Zeitabschnitte vom Vater versorgt wird. Das soll eine Reform ändern.

Unterhaltsrecht wird - so Giffey - der Realität nicht gerecht

Ministerin Giffey will die Vielfalt der heute üblichen Betreuungsmodelle, die vom geltenden Recht nach ihrer Auffassung nicht hinlänglich gespiegelt wird, zukünftig beim Unterhalt berücksichtigen.

  • Tatsächlich versorgen auch nicht wenige lediglich zum Umgang berechtigte bzw. allein unterhaltspflichtige Väter ihre Kinder regelmäßig über längere Zeitabschnitte.
  • Nicht selten lebt ein Kind innerhalb eines Monats ein Viertel der Zeit oder mehr beim Vater und hat bei diesem auch ein eigenes Zimmer.

In diesen Fällen ist es nach Auffassung der Ministerin nicht gerechtfertigt, dass der Vater dennoch den vollen Barunterhalt zahlen muss. Das Unterhaltsrecht benötige hier flexible Regelungen, die den unterschiedlichen Betreuungsmodellen gerecht werden.

Reform des Unterhaltsrechts im Koalitionsvertrag vorgesehen

Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sieht eine Reform des Unterhaltsrechts in diesem Punkt vor. Das Bundesfamilienministerium plant zur Umsetzung dieses Auftrags eine  Neuausrichtung der Unterhaltspflicht unter differenzierterer Berücksichtigung der Betreuungsleistung. Details, wie die Verrechnung der jeweiligen Betreuungsleistungen zukünftig aussehen soll, sind allerdings noch nicht bekannt.

Aktuelle Unterhaltsregelung geht vom Residenzmodell aus

Nach der heutigen Regelung der §§ 1601 ff BGB hat der nicht überwiegend für die Pflege und Erziehungsarbeit zuständige Elternteil den Barunterhalt (§ 1612 BGB),  zu zahlen.

  • Danach besteht die volle Unterhaltspflicht dann, wenn z. B. die Mutter das Kind überwiegend alleine betreut und der Vater lediglich regelmäßigen Umgang mit dem Kind ausübt oder umgekehrt (Residenzmodell).
  • Dies gilt allerdings auch dann, wenn das Kind beispielsweise jedes Wochenende von Freitag bis Sonntag vom Vater versorgt wird.

In diesen Fällen kann der Vater nach geltendem Recht unter engen Voraussetzungen eine Ermäßigung des Unterhalts beantragen, wenn das Familiengericht einen erhöhten Umgang anerkennt, so dass beispielsweise vermehrte Ausgaben für Fahrten und ähnliches bei der Berechnung des Unterhalts berücksichtigt werden.

Echte Teilung des Barunterhalts nur beim Wechselmodell

Eine spürbare Reduktion der Unterhaltspflicht existiert bisher aber nur beim Wechselmodell (→ Beim Wechselmodell müssen beide Eltern zahlen. Ein Wechselmodell, vor allem von mittelständischen Großstadtfamilien praktiziert wird, liegt aber nur vor, wenn das Kind jeweils zur Hälfte beim Vater und bei der Mutter lebt bzw. diese bei ihm. Es erfordert allerdings räumliche Nähe und finanzielle Ressourcen für zwei Kinderzimmer.

  • In diesen Fällen gehen die Familiengerichte davon aus, dass die Eltern ihre Unterhaltspflichten jeweils unmittelbar gegenüber dem Kind sowohl in Form von Betreuung als auch in Form von Geld erfüllen,
  • wobei die Barunterhaltsanteile allerdings entsprechend dem jeweiligen Einkommen berechnet werden,
  • d.h. der besser verdienende Elternteil hat entsprechend höhere Barunterhaltspflichten als der weniger Verdienende.

Die Einzelbeträge richten sich in diesem Fall nach der Düsseldorfer Tabelle (Düsseldorfer Tabelle zum 01.01.2019).

Wechselmodell soll nicht gesetzlicher Regelfall werden

Die Familienministerin sprach sich allerdings gegen Forderungen nach einer gesetzlichen Einführung eines Wechselmodell als Leitbild für Trennungskinder aus.

  • Eine allgemeinverbindliche Betreuungsregelung darf der Staat nach Auffassung der Ministerin nicht vorschreiben.
  • Das Wechselmodell, in dem das Kind eine Woche bei der Mutter und die zweite Woche Woche beim Vater verbringt, funktioniere in manchen Beziehungen problemlos,
  • bei anderen Trennungskindern spielten sich hier aber auch regelrechte Dramen ab.

Verständlich, denn nicht jeder Menschentyp ist glücklich damit, seinen Lebensmittelpunkt wöchentlich zu verschieben.

Der Staat müsse daher, so der Standpunkt nicht nur der Bundesfamilienministerin, sondern auch vieler Kinderärzte  und Psychologen die Wahl des jeweils passenden Modells den Beteiligten daher in eigener Verantwortung überlassen.

Gehen die Reformpläne zu Lasten der real stärker geforderten Mütter?

Kritiker der Reformabsichten, und das sind nicht wenige, weisen darauf hin, dass in der Praxis immer noch in der größten Zahl der Fälle der Barunterhalt von Vätern gezahlt wird, während die Mütter ihre Kinder versorgen.

  • Die Mütter würden viel häufiger als Väter zu Gunsten der Erziehung ihrer Kinder auf Karriereschritte verzichten.
  • Außerdem reiche der Barunterhalt in der Realität häufig für die Versorgung der Kinder nicht aus.

Die Kritiker befürchten, dass die geplante Entlastung von Vätern, die ihre Kinder mitversorgen, letztlich zulasten der in der Lebenswirklichkeit stärker geforderten Mütter gehen könnte.

In der Union formiert sich Widerstand

Die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier- Becker, erklärte, wer die Väter entlassen wolle, müsse auch sagen, auf wessen Kosten das gehen soll.

  • Eine Reform des Unterhaltsrechts dürfe nicht dazu führen, dass in der Folge der Lebensbedarf eines Kindes im Haushalt der Mutter gefährdet sei.
  • Deshalb dürften Väter nur dann entlastet werden, wenn der Bedarf des Kindes im Haushalt der sorgeberechtigten Mutter unterm Strich gedeckt sei.
  • Keinesfalls dürfe das Kindeswohl bei Reformplänen vernachlässigt werden.

Alleinerziehen als Armutsrisiko - Aufregung in Social Media

In den Sozialem Medien führt das Thema zu shitstormartigen Böen u.a. unter  #Giffey bei Twitter. Manche sehen einen hohen Wahlkampfbezug und verweisen auf die Zurückhaltung vieler Väter als Unterhaltsschuldner und das hohe Armutsrisko von alleinerziehenden Müttern: 

Zum Thema gibt es auf Grundlage der Zahlen des Statistischen Bundesamt auf Watson folgende Überblick:

  • Im Jahr 2017 waren 84 % aller allein erziehenden Elternteile Mütter.
  • Nicht selten geraten Mütter in Altersarmut, weil sie wegen der Betreuung des Kindes ihren Beruf vernachlässigen.
  • Etwa 450.000 Alleinerziehende sind jährlich von dem Phänomen der Unterhaltsprellung getroffen, d.h. der barunterhaltspflichtige Elternteil zahlt nicht.
  • Der Staat zahlte 2018 in ca. 780.000 Fällen Unterhaltsvorschuss. Nur ca. 13 % der Zahlungen bekommt er zurück.
  • Nach einer Allensbach-Studie aus dem Jahr 2017 wählen knapp 70 % der Paare nach einer Trennung ein Betreuungsmodell, bei dem die Mutter die Betreuung des Kindes überwiegend übernimmt.
  • Der Anteil der Väter, die ein Wechselmodell bevorzugen würden, liegt nach dieser Befragung allerdings bei etwa 50 %.

Das Thema hat starkes Kontroversenpotential

FDP begrüßt die Reformpläne, Grüne eher skeptisch

Die FDP hält den Reformvorstoß der Familienministerin für überfällig.

  • Eine Reform müsse auch bessere Möglichkeiten schaffen, dass sich Eltern ohne teure und langwierige Gerichtsverhandlung über den Unterhalt einigen.
  • Das Wechselmodell als Leitbild der Kindesbetreuung wird von der FDP favorisiert.
  • Die Partei fordert darüber hinaus begleitende Änderungen im Sozialrecht, im Steuerrecht und Rentenrecht
  • sowie eine Überprüfung der Regelungen zur rechtlichen Vertretung des Kindes.

Die Grünen stehen den Plänen eher skeptisch gegenüber. Sie befürchten, dass die Umsetzung der Pläne faktisch zu einem Weniger an Kindesunterhalt führen würde, was dem Kindeswohl nicht unbedingt dienlich sei.

Noch hoher Diskussionsbedarf

Die Familienministerin selbst kündigte flankierend zur Unterhaltsreform eine Reform des Elterngeldes an.

  • Außerdem will sie alle Möglichkeiten prüfen, wie Unterhaltspflichtige, die sich vor ihrer Unterhaltspflicht drücken, effektiver zur Rechenschaft gezogen werden können.
  • Von der in diesem Zusammenhang bereits diskutierten Sanktion des Entzuges des Führerscheins (Fahrverbot für Unterhaltsschuldner?) hält sie allerdings nichts,
  • denn dann würden säumige Unterhaltsschuldner – so die Befürchtung der Ministerin - möglicherweise auch noch ihren Beruf verlieren und könnten gar nichts mehr zahlen.

Allein dieses Beispiel zeigt, dass die Pläne zur Reform noch nicht wirklich ausgegoren sind und noch eingehender Beratung bedürfen. Bei allem Reformeifer sollte zumindest klar sein, dass das Kindeswohl nicht aus dem Auge verloren werden und eine faktische Reduktion des einer angemessenen Versorgung des Kindes dienenden Unterhalts keinesfalls das Ergebnis sein kann.

Möglichkeit maßgeschneiderterer Sorgerechtsvarianten

Allerdings ist nicht zu leugnen, dass eine durchdachte Reform die Kluft zwischen Residenzmodell und Wechelmodell für Fälle, in der keines von beiden wirklich passt, etwa weil das Kind vom Naturell her kein "Nomade" ist, verringern und maßgeschneidertere Varianten erlauben würde. Jenseits von Rosenkriegen könnte es ja auch Müttern / Betreuenden erlauben, ihre eigene beruflichen Belange besser abzudecken.  

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Hintergrundinformation

Laut Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung aus dem Jahre 2014 kommt die Hälfte aller unterhaltspflichtigen Eltern ihren Verpflichtungen gar nicht nach, ein weiteres Viertel nur unzureichend. Da immer noch der ganz überwiegende Teil der Kinder bei den Müttern lebt, sind die Unterhaltsschuldner zum großen Teil Väter.Ihr Leistungsunvermögen oder der mangelnde Leistungswille

  • gehen zu Lasten der Kinder und betreuenden Elternteile,
  • aber auch zu Lasten des Staates,
  • da die betreuenden Elternteile häufig Unterhaltsvorschuss beantragen.

Der wiederum wird zum größeren Teil von den Behörden nicht wieder von den Unterhaltsschuldnern eingetrieben.

Der Unterhaltsvorschuss wird geleistet

  • in Höhe des Mindestunterhalts der ersten oder zweiten Altersstufe nach § 1612a BGB – entsprechend dem Mindestsatz der Düsseldorfer Tabelle in der zutreffenden Altersstufe – (§ 2 Abs. 1 S. 1 UhVorschG)
  • oder in Höhe der Differenz zwischen dem gezahlten Unterhalt und dem Mindestunterhalt (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 UhVorschG).

Vom betreuenden Elternteil bezogenes Kindergeld (stets nur in Höhe des geringsten Satzes für ein erstes Kind) oder Kindergeldersatz gemäß § 65 Abs. 1 EStG wird – anders als in § 1612b BGB – in voller Höhe angerechnet (§ 2 Abs. 2 UhVorschG).

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Schlagworte zum Thema:  Unterhalt, Sorgerecht