Wann können Internatskosten als als Mehrbedarf geltend gemacht werden?
In einem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall stritten die Beteiligten über die monatlichen Mehrkosten für eine Unterbringung und Beschulung der Antragstellerin in einem speziellen Internat. Die Antragstellerin lebte im Haushalt ihres Vaters, der das alleinige Sorgerecht in schulischen Angelegenheiten hatte. Die Mutter der Antragstellerin zahlte Kindesunterhalt nach der höchsten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle.
Lese-, Rechtschreibe- und Rechenschwäche: Internat bringt moderate Leistungsverbesserung
Die Antragstellerin litt unter einer gravierenden Störung ihrer schulischen Fertigkeiten, einer Lese-, Rechtschreibe- und Rechenschwäche, die durch ein fachärztliches Attest belegt waren. Am Ende ihrer Grundschulzeit erhielt sie eine Empfehlung für den Besuch einer Real- oder einer Gemeinschaftsschule. Auf Veranlassung ihres Vaters besuchte sie seit Ende 2016 ein Internat (Gymnasium), das über ein Zentrum für individuelle Begabungsförderung verfügte.
Einmal wöchentlich erhielt die Antragstellerin dort eine Legasthenie-Therapie. In dem Fach Deutsch besserte sich ihre Zeugnisnote leicht, im Fach Englisch gravierend von der Note fünf auf Note zwei.
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Seminar-Video: Unterhaltsrecht - Auswirkungen der Corona-Krise und sonstige aktuelle Entwicklungen
Die Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht ist sehr dynamisch, das birgt in der familienrechtlichen Praxis Herausforderungen und beträchtliches Risikopotential. In einem 2,5-stündigen Seminar stellt der Referent Dr. Wolfram Viefhues Konsequenzen wichtiger neuer Entscheidungen und Rechtsänderungen vor.
Seminarinhalte sind u.a.:
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Tochter fordert Internatskosten von ihrer Mutter
Die Antragstellerin forderte von ihrer Mutter die Zahlung der durch die Internatsunterbringung entstandenen und entstehenden Mehrkosten in Form von Pensionskosten von monatlich ca. 1.400 Euro sowie Nebenkosten für Lehrmittel und ähnliches in Höhe von monatlich 100-150 Euro.
Sie fühle sich in dem Internat gut betreut, bei ihrem privaten Studium werde sie von Erziehern begleitet, für ihren berufstätigen Vater sei der Mehraufwand auf Dauer nicht tragbar.
Das Internat sei für sie die bestmögliche schulische Lösung. Bei einem Jahresbruttoeinkommen von 130.000 Euro und mehr seien die Mehrkosten für ihre Mutter zumutbar.
Internatskosten sind unterhaltsrechtlicher Mehrbedarf
Zur Einordnung des von der Antragstellerin geltend gemachten Unterhaltsbedarfs stellte das OLG zunächst klar, dass sämtliche von ihr geltend gemachten Kosten als Mehrbedarf im Rahmen des nach § 1610 Abs. 1 BGB zu zahlenden Kindesunterhalts und nicht als Sonderbedarf einzuordnen seien, da es sich um einen regelmäßig wiederkehrenden Bedarf handle, der den sonst üblichen Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle übersteige (BGH, Urteil v. 16.11.2008, XII ZR 65/07).
Berechtigter Mehrbedarf ist Teil des angemessenen Unterhalts
Nach der Entscheidung des OLG gehört auch der Mehrbedarf zu dem von dem Barunterhaltspflichtigen zu zahlenden angemessenen Unterhalt gemäß §§ 1601, 1602, 1610 Abs.1 BGB. Der schulische Mehrbedarf eines Kindes gehöre dann zu dem angemessenen Unterhalt, wenn der Mehrbedarf als berechtigt anzuerkennen sei. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass dem Elternteil, der die elterliche Sorge in schulischen Angelegenheiten alleine ausübe, grundsätzlich das Recht zustehe, die Ziele und Wege einer Ausbildung unter Berücksichtigung der Eignung und Neigungen des Kindes eigenverantwortlich festzulegen. Der barunterhaltspflichtige Elternteil müsse die Entscheidung des Sorgeberechtigten grundsätzlich hinnehmen.
Mehrbedarf muss angemessen sein
Dieser Grundsatz der Entscheidungsautonomie des Sorgeberechtigten gelte aber nicht unbeschränkt. Die Entscheidungen seien unterhaltsrechtlich nur dann anzuerkennen, wenn die daraus folgende Mehrbelastung des Barunterhaltspflichtigen angemessen ist. Kriterien für die Angemessenheit seien
- die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Barunterhaltspflichtigen,
- die Frage, ob eine kostengünstigere Alternative mit gleichen Erfolgschancen zu der gewählten Schulform existiert und
- die Zumutbarkeit des Mehrbedarfs für den Barunterhaltspflichtigen.
Für alle diese Umstände sei der Unterhaltsberechtigte darlegungspflichtig.
Erforderlichkeit des Mehrbedarfs nicht hinreichend belegt
Die Darlegung dieser Erfordernisse ist der Antragstellerin im konkreten Fall nach Auffassung des OLG nicht gelungen. Im Unterschied zu einer anderen Schule erhalte sie in dem Internat lediglich einmal wöchentlich für die Dauer von 45 Minuten eine Legasthenie-Therapie. Die Antragstellerin habe nicht dargelegt, aus welchen Gründen sie eine vergleichbare Therapie nicht an dem von ihr in der Vergangenheit schon besuchten Legasthenie-Institut durchführen könne, das im übrigen auch die für die Antragstellerin wichtige Dyskalkulie-Therapie anbiete, die an dem von ihr besuchten Internat nicht verfügbar sei.
Leistungssteigerung der Antragstellerin zu wenig signifikant
Die schulischen Noten der Antragstellerin hätten sich an dem Internat auch nicht so deutlich verbessert, dass dies die mit dem Internatsbesuch verbundenen erheblichen Mehrkosten rechtfertige. Aufgrund der bisherigen pädagogischen Stellungnahmen sei auch davon auszugehen, dass der Besuch einer Realschule möglicherweise ihren Fähigkeiten besser entspreche als der Besuch eines Gymnasiums.
Auch der der Antragstellerin möglicherweise entgegenkommende, stark durchstrukturierte Tagesablauf des Internats rechtfertige keine Mehrkosten von so erheblicher Höhe. Im Ergebnis versagte das OLG der Antragstellerin den geltend gemachten Mehrbedarf.
(OLG Karlsruhe, Beschluss v. 16.5. 2019, 20 UF 105/18)
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Hinweis:
Im Unterschied zum Mehrbedarf handelt es sich beim Sonderbedarf nicht um regelmäßig auftretende Zusatzkosten. Sonderbedarf ist unregelmäßig auftretender, außergewöhnlich hoher Bedarf, für den mangels Vorhersehbarkeit keine Rücklagen gebildet werden konnten, zum Beispiel außergewöhnliche Kosten für eine nicht vorhersehbare Krankenbehandlung. Gemäß §1606 Abs. 3 BGB kann das Gericht in diesen Fällen je nach Angemessenheit auch eine anteilige Beteiligung beider Elternteile verfügen. Letzteres gilt grundsätzlich auch für den unterhaltsrechtlichen Mehrbedarf.
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