Auch bei enterbtem Sohn besteht Pflichtteilsanspruch des Enkels

Auch wenn direkte Pflichtteilsberechtigte wirksam vom Erbe ausgeschlossen oder verstorben sind, müssen die testamentarisch eingesetzten Erben noch mit Pflichtteilsansprüchen der Eltern oder Enkel des Erblassers rechnen. So verhindert der wirksam enterbte Sohn des Erblassers nicht die Pflichtteilsansprüche des rechtlichen Enkels.

Ende Oktober 2011 verstarb ein 72jähriger Mann. Er hinterließ ein millionenschweres Erbe und wenige Angehörige:

  • seine Lebensgefährtin,
  • seinen Bruder,
  • einen Sohn und
  • dessen Sohn, seinen Enkel.

Rauschgift und Gewalt stört Beziehung zwischen Vater und Söhnen

Die Familienverhältnisse waren nicht einfach. Die Söhne des Erblassers, geb. 1962 bzw. 1964, hatten Schwierigkeiten im Leben Fuß zu fassen. Sie waren beide rauschgiftabhängig und lebten teilweise auf der Straße. Der Erstgeborene blieb kinderlos und verstarb schon 1990 in jungen Jahren. Der Zweitgeborene geriet mit seinem Vater immer wieder aneinander. Im Jahr 1986 eskalierte eine Situation, er schlug seinen Vater nieder und trat mit Füßen auf ihn ein. Er wurde für diese gefährliche Körperverletzung zu zwei Monaten Haft verurteilt.

Söhne testamentarischer enterbt

Im April 1989 setzte der spätere Erblasser sein Testament bei einem Notar wirksam auf. Darin verfügte er, dass

  • seine Lebensgefährtin die eine Hälfte und
  • sein Bruder die andere Hälfte seines Vermögens bekommen sollten.
  • Seine beiden Söhne enterbte er mit der Begründung der ständigen Straftaten, insbesondere der Körperverletzung gegen ihn selbst und der Rauschgiftsucht, die aus seiner Sicht nur dazu führen würde, dass sie sich mit dem Geld aus dem Nachlass selbst umbringen würden. 

Im Jahr 1996 wurde der Enkel des Erblassers geboren. Ob dessen Vater und zweiter Sohn des Erblassers tatsächlich biologischer Erzeuger war, ist unklar. Jedenfalls hat er mit Hilfe der Mutter des Jungen unmittelbar nach der Geburt die Vaterschaft rechtswirksam anerkannt und war damit rechtlicher Vater.

Erbe zwischen Wunscherben aufgeteilt

Nach dem Tod des vermögenden Erblassers teilten die Lebensgefährtin und der Bruder des Mannes den Nachlass, der v.a. aus mehreren Grundstücken bestand, unter sich auf. Ein Grundstück wurde verkauft, damit der Bruder in Höhe von rund 1 Mio. EUR ausbezahlt werden konnte. Die übrigen Grundstücke sowie den beweglichen Nachlass übernahm die Lebensgefährtin, die die Grundstücke jeweils an ihren Sohn weiterveräußerte, der wiederum eins davon weiterverkaufte.

Der enterbte Sohn versuchte vergeblich etwas von dem Erbe seines Vaters zu kommen. Sein Prozesskostenhilfeantrag und die anschließende Beschwerde wurden mangels Erfolgsaussichten vom Gericht abgelehnt. Er sei formwirksam und mit ausreichenden Gründen enterbt worden.

Enkel macht Pflichtteilsansprüche gegen testamentarische Erben geltend

Ende 2014 trat dann der Enkel des Erblassers auf den Plan. Er verklagte die im Testament Begünstigten vor dem Landgericht Hagen als sog. entfernter Abkömmling auf Zahlung seines Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs (§ 2309 BGB). Im Laufe des Verfahrens bezifferte er den

  • Pflichtteilsanspruch auf rund 920.000 EUR und den
  • Pflichtteilsergänzungsanspruch auf 10.000 EUR.

Die Summe von knapp einer Mio. EUR wurde dem Enkel schon in erster Instanz vom Landgericht Hagen zugesprochen. Die Berufung des Bruders des Verstorbenen blieb erfolglos.

Rechtliche Abstammung reicht aus, um den Pflichtteil zu beanspruchen

Das Oberlandesgericht Hamm beließ dem Enkel den Zahlungsanspruch und wies alle Einwände der im Testament Eingesetzten zurück. Insbesondere

  • schlug die Enterbung des Vaters nicht auf den Enkel durch;
  • genügt die rechtliche Abstammung nach Vaterschaftsanerkennung, die durch Vorlage der Geburtsurkunde nachgewiesen wurde;
  • ist es unerheblich, dass der Enkel im Zeitpunkt der Testamentsaufstellung noch nicht geboren war;
  • waren die Ansprüche nicht verjährt, da die dreijährige Frist erst mit Kenntnis vom Testament, nicht schon im Zeitpunkt des Erbfalls zu laufen begann;
  • kam es auf eine nach dem Erbfall eingetretene Entreicherung nicht an, weil Lebensgefährtin und Bruder voreilig das Erbe aufgeteilt und damit auf eine Haftungsbeschränkung aus dem Nachlass verzichtet hätten (§ 2059 f. BGB). 

Die Revision wurde nicht zugelassen.

(OLG Hamm, Urteil v. 26.10.2017, 10 U 31/17).

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