Der durchschnittlich vorgebildete Laie wird Schrittgeschwindigkeit ähnlich wie Wikipedia als "eine relativ niedrige Geschwindigkeit, die nur so schnell ist, wie ein Fußgänger gehen kann" definieren.[10] Das ist schon ungenau, die Definitionsversuche der Rechtspflege machen es aber nicht besser.

[10] Wikipedia: "Schrittgeschwindigkeit", abgerufen am 7.10.2017.

I. Gesetz

Das StVG und die StVO definieren die Schrittgeschwindigkeit nicht. Allerdings findet sich im Unionsrecht zu Verordnung Nr. 2658/87, Erläuterung, ABl 2005, C 1, S. 3 die Definition max. 10 km/h als zulässige Geschwindigkeit, was aber kaum jemanden geläufig ist.

II. Rechtsprechung

Die Rechtsprechung nimmt jedenfalls nicht auf die unionsrechtliche Definition Bezug, sondern versucht sich in eigenen und voneinander differierenden Beschreibungen.

1. Verkehrszivilrecht

Rechtsprechungsbeispiele im Verkehrszivilrecht, häufig aus Anlass von Unfällen auf (privaten) Parkplätzen:

LG Aachen: "deutlich unter 20 km/h" (zfs 93, 114).
OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.3.2017 – 1 U 97/16: 4–7 km/h auf privaten Plätzen.

2. Rechtsprechungsbeispiele im Verwaltungsrecht

BayVwGerH, Beschl. v. 20.6.2011 – 11 ZB 10.1353, Ziff. 12: Schrittgeschwindigkeit ist auch bei 10 bis 20 km/h eingehalten.
VG München, Urt. v. 22.6.2005 – M 9 K 04.6193 zu § 35 BauGB: "Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit (10 km/h)".

3. Rechtsprechungsbeispiele im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht

OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.5.2005 – 1 Ss (OWi) 86 B/05: "Bis zu 7 km/h gilt noch als Schrittgeschwindigkeit".
AG Leipzig, Urt. v. 16.2.2005 – 215 OWi 500 Js 83213/04, 215 OWi 500 Js 83213 04 pa: Orientierungssatz: "In einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325 StVO) muss eine Geschwindigkeit eingehalten werden, die deutlich unter 20 km/h liegt, somit eine Geschwindigkeit von 15 km/h." Es fehlt allerdings eine Begründung für die Festsetzung einer oberen Grenze von 15 km/h.
OLG Naumburg, Beschl. v. 21.3.2017 – 2 Ws 45/17 (zfs 17, 654): Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat das OLG die Definition der Schrittgeschwindigkeit des AG Weißenfels mit max. 15 km/h gekippt und stattdessen höchstens 10 km/h angenommen, weil "Eine Geschwindigkeit von mehr als 10 km/h (…) nach dem Wortsinn nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit angesehen werden" kann. "Wer sich noch schneller fortbewegt, geht bzw. schreitet nicht, sondern läuft." Das OLG hat dabei eine nicht umfeldabhängige Definition der Schrittgeschwindigkeit beabsichtigt, da es weiter ausführt: "Der Begriff Schrittgeschwindigkeit kann auch nicht je nach örtlichen Gegebenheiten oder dem Grad der Gefährdung unterschiedliche Geschwindigkeiten bezeichnen."

4. Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung

Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschl. v. 17.2.2017 – 97/15: Schrittgeschwindigkeit bedeutet eine Geschwindigkeit, die "stets ein rechtzeitiges Stoppen" ermöglicht.

III. Literatur

König folgt einem auf äußere Bedingungen Rücksicht nehmenden Definitionsansatz. Schrittgeschwindigkeit ist dabei keine feste Größe, sondern eine umfeldabhängige Richtgeschwindigkeit: Ist die Schrittgeschwindigkeit angeordnet um Ein- und Aussteigende z.B. bei einer Straßenbahn zu schützen, gilt: "Je lebhafter der Fußgängerverkehr beim Ein- und Austeigen ist, umso mehr Vorsicht ist geboten".[11] Das scheint, wie bei der Geschwindigkeit nach der Definition des Brandenburgischen Verfassungsgerichts, die "stets ein rechtzeitiges Stoppen" ermöglichen soll, nicht auszuschließen, dass bei einem sehr dichten Fußgängerverkehr nahe am Fahrzeug, sogar eine geringere als durchschnittliche Schrittgeschwindigkeit als maximal erlaubt angesehen sein könnte, wenn nicht sogar die Pflicht zum Warten besteht.

[11] König, in: Hentschel/König/Dauer: Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 20 StVO Rn 6.

IV. Kritik

Die Schwankungsbreite der Rechtsprechung in der Schrittgeschwindigkeit reicht somit von "4–7" bis zumindest 15 km/h. Die jeweiligen Entscheidungen sind zudem sehr apodiktisch, da kaum nachvollziehbar begründet wird, warum die jeweilige Definition der Schrittgeschwindigkeit die zutreffende sein soll. Die Entscheidung des OLG Naumburg enthält zwar eine Abgrenzung zwischen der Schrittgeschwindigkeit mit max. 10 km/h und dem Laufen, diese ist streng anthropologisch aber zu restriktiv, wie die (hier weiter unten erläuterten) von Spitzengehern erzielten Höchstgeschwindigkeiten zeigen.

Auch für sich gesehen sind die jeweiligen Definitionen oft nicht abschließend: Ist aus der Definition des OLG Brandenburg "bis zu 7 km/h gilt noch als Schrittgeschwindigkeit" zu schließen, dass ab 8 km/h der sanktionierte Bereich beginnt oder nur unter Umständen beginnen könnte? Bei der zweiten Auslegung schlösse sich dann notwendigerweise an, welche Umstände dies sein könnten und ob diese dem Bestimmtheitsgebot gerecht werden könnten.

Nur die Definitionen des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg und Königs verbinden mit ihren Definitionen zugleich auch offen ein Motiv. Der subjektive Maßstab "stets ein rechtzeitiges Stoppen" ist funktional und weitergehender als eine absolute und schon für sich gesehen abschließende Definition einer Geschwindigkeit, da die Fähigkeit "rechtzeitig stoppen" zu können, individuell recht verschieden sein kann....

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