Ich halte die Entscheidung im Ergebnis für zutreffend, kann jedoch der Begründung nicht in allen Punkten folgen.

Rechtsgrundlagen für die Kostenerstattung

Als Rechtsgrundlage für die Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Anwaltskosten führt der VI. ZS des BGH lediglich die Vorschrift des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO an. Für die hier verfahrensgegenständlichen gesetzlichen Gebühren und Auslagen der Prozessbevollmächtigten der Bekl. greift jedoch die Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 ZPO ein, wonach die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in allen Prozessen zu erstatten sind. Diese Vorschrift bildet somit eine Ausnahme von der Grundregel in § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, sodass es der grds. gebotenen Prüfung der Notwendigkeit der entstandenen Kosten nicht bedarf. Somit sind die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei stets als zweckentsprechend verursachte Kosten anzusehen (BGH zfs 2012, 43 mit Anm. Hansens = RVGreport 2012, 59 [Hansens]; BGH RVGreport 2014, 315 [ders.]; BGH RVGreport 2014, 76 [ders.]; BGH RVGreport 2018, 179 [ders.]; BAG RVGreport 2012, 349 [ders.]). Folglich sind die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts nur dann nicht erstattungsfähig, wenn für die Tätigkeit des Anwalts ausnahmsweise kein Anlass besteht (s. BGH zfs 2009, 465 mit Anm. Hansens = RVGreport 2008, 274 [ders.]; BGH RVGreport 2018, 179 [ders.]). Dies ist in der höchstrichterlichen Rspr. völlig unstrittig, wird von den Gerichten aber leider nicht immer umgesetzt. Auch der VI. ZS hat dieses Regel-Ausnahme-Prinzip hier verkannt. Er ist jedoch glücklicherweise dennoch zu dem richtigen Ergebnis gelangt.

Völlig zu Recht vertritt der VI. ZS die Auffassung, anders als es der III. ZS des BGH (zfs 2016, 285 m. Anm. Hansens = RVGreport 2016, 186 [Hansens] = AGS 2016, 252) verlauten ließ, komme es für die Beurteilung der Notwendigkeit nicht allein auf einen rein objektiven Maßstab an, sondern aus der "verobjektivierten" ex-ante –Sicht der betreffenden Prozesspartei. Somit ist auch der Kenntnisstand der erstattungsberechtigten Partei von den für die Erstattungsfähigkeit maßgeblichen Umständen zu berücksichtigen. Kennt also weder die Partei noch ihr Prozessbevollmächtigter bspw. die Klage- oder Rechtsmittelrücknahme nicht, und lässt die Partei einen Klage – oder Rechtsmittezurückweisungsantrag bei Gericht einreichen, ist dies zwar wegen der bereits zuvor eingetretenen Verfahrensbeendigung objektiv nicht notwendig. Aus der "verobjektivierten" Sicht, die auch den Kenntnisstand der erstattungsberechtigten Partei berücksichtigt, war dies jedoch notwendig. Die gegenteilige Auffassung des III. ZS des BGH (a.a.O.) ist mit den Grundsätzen des Kostenerstattungsrechts nicht vereinbar und geht völlig an der Praxis vorbei (s. meine Anm. in zfs 2016, 285 ff.). Deshalb ist der III. ZS des BGH in der Folgezeit auch von seiner Argumentation abgerückt, der Anwalt sei gewissermaßen erstattungsrechtlich verpflichtet, sich vor dem Einreichen eines Klage- oder Berufungszurückweisungsantrags beim Prozessgericht nachzufragen, ob nicht bereits einen Klage- bzw. Berufungsrücknahme vorliege.

Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens

Ermäßigte Verfahrensgebühr

Anders als es der amtliche Leitsatz vermuten lässt, ging es in dem Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem VI. ZS des BGH nicht um die durch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung angefallene 1,6 Verfahrensgebühr, sondern um die für das Betreiben des Geschäfts (s. Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG) entstandene 1,1 Verfahrensgebühr. Für die Erstattungsfähigkeit dieser Verfahrensgebühr war der Zeitraum von der Erteilung des Auftrags der Bekl. zur Vertretung im Berufungsverfahren bis zum Erhalt der Kenntnis der Rücknahme der Berufung maßgeblich. In den Gründen seines Beschlusses hat der BGH jedoch nur den letztgenannten Zeitpunkt, nämlich die Zustellung des Klagerücknahmeschriftsatzes an die Beklagtenvertreter am 5.7.2016, genannt. Wann die Bekl. ihren Prozessbevollmächtigten den Auftrag erteilt haben, wird nicht mitgeteilt. Allerdings hatten die Beklagtenvertreter nach dem mitgeteilten Sachverhalt die am 28.6.2016 zugestellte Berufungsschrift auftragsgemäß am 29. oder 30.6.2016 hinsichtlich ihrer Formalien überprüft. Außerdem hatten die Anwälte der Bekl. den Bestellungsschriftsatz, der auch den Antrag auf Zurückweisung der Berufung enthielt, auf den 1.7.2016 datiert. Zu diesem Zeitpunkt war zwar mit Eingang des Rücknahmeschriftsatzes am 24.6.2016 das Berufungsverfahren objektiv beendet, den Beklagtenvertretern wurde die Verfahrensbeendigung jedoch erst am 5.7.2016 bekannt. Somit hat der VI. ZS des BGH die nur geltend gemachte 1,1 Verfahrensgebühr zu Recht als erstattungsfähig angesehen.

Volle Verfahrensgebühr

Möglicherweise hätten die Bekl. auch die durch das Stellen des Berufungszurückweisungsantrages im Schriftsatz vom 1.7.2016 ausgelöste 1,6 Verfahrensgebühr vom Kl. erstattet verlangen können. Legt man die Auffassung des XII. ZS des BGH (zfs 2018, 344 ...

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