"Da eine Geldbuße von 100 EUR verhängt wurde, kann die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urt. zur Fortbildung des nicht zum Verfahrensrecht gehörenden Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) oder das Urt. wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG)."

1. Eine Gehörsverletzung wird zwar geltend gemacht – wobei offen bleiben kann, ob diese Verfahrensrüge den Anforderungen des auch im Bußgeldverfahren geltenden § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügt –, ist aber nicht ersichtlich. Die Behauptung, der Tatrichter habe die auf eine unzulässige Aktenführung durch die Zentrale Bußgeldstelle gestützten Einwände des Betr. nicht zur Kenntnis genommen, ist durch die schriftlichen Urteilsgründe widerlegt. Aus dem Umstand, dass der Tatrichter nicht die von dem Betr. gewünschten Schlüsse und Konsequenzen aus dessen Vorbringen gezogen hat, ergibt sich keine Gehörsverletzung.

2. Obwohl gem. § 80 Abs. 5 OWiG Verfahrenshindernisse, die bereits bei Erlass des angefochten Urt. vorlagen, grds. unbeachtlich sind, kommt auch auf Sachrüge eine Zulassung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG in Betracht, wenn klärungsbedürftig ist, ob überhaupt ein Verfahrenshindernis vorliegt, etwa weil fraglich ist, ob einer bestimmten Handlung verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt (BGH v. 29.10.1996 – 4 StR 394/96, NStZ 1997, 346). Vorliegend ist die Zulassung allerdings nicht geboten.

a) Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG unterbricht die Anordnung der ersten Vernehmung des Betr. die Verjährung. Für die Wirksamkeit dieser Anordnung ist die Frage, ob eine Bußgeldstelle ihre Akten in Papierform oder digital führen darf/muss, unerheblich.

b) Die Zentrale Bußgeldstelle [Speyer, Anm. d. Schriftl.] führt ihre Akten zwar derart, dass alle verfahrensrelevanten Dokumente (Schriftstücke, Bilder usw.) zunächst nur digital vorhanden sind bzw. digital hergestellt werden und erst bei Bedarf – sei es zum Zwecke der Versendung, sei es nach Einspruch zur Herstellung einer Papierakte – ausgedruckt werden. Dies geschieht ohne Rechtsgrundlage, weil es die Landesregierung bisher versäumt hat, die notwendige Rechtsverordnung i.S.d. § 110b Abs. 1 S. 2, 3 OWiG zu erlassen.

Daraus folgt allerdings nicht, dass ein von der Zentralen Bußgeldstelle erlassener und mit Hilfe der dortigen EDV-Anlage in Papierform hergestellter und versandter Bußgeldbescheid unwirksam wäre (und somit dessen Erlass bzw. Zustellung keine verjährungsunterbrechende Wirkung hätte). Ein in einem automatisierten Verfahren (§ 51 Abs. 1 S. 2 OWiG) hergestellter Bußgeldbescheid bedarf keiner Unterschrift, weil nach § 66 OWiG die einfache Schriftform genügt (BGH v. 5.2.1997 – 5 StR 249/96, NStZ 1998, 453). Welche weiteren Anforderungen an die Wirksamkeit zu stellen sind, ist höchstrichterlich geklärt (BGH a.a.O.; BGH v. 22.5.2006 – 5 StR 578/05, BGHSt 51, 72; siehe auch KG v. 14.1.2016 – 3 Ws (B) 610/15; OLG Stuttgart v. 10.10.2013 – 4a Ss 428/13, NZV 2014, 186).

Ob diese Anforderungen im vorliegenden Verfahren erfüllt sind, ist eine Frage des Einzelfalls und somit nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens. Der Vollständigkeit halber sei aber darauf hingewiesen, dass sich aus den Akten ergibt, dass nicht etwa ein Computer den Bußgeldbescheid v. 27.7.2015 “erlassen’ hatte, sondern dessen Herstellung von einer namentlich bekannten Mitarbeiterin der Zentralen Bußgeldstelle veranlasst wurde, nachdem sie festgestellt hatte, dass das Foto des Täters und das von ihr angeforderte Passbild des Betr. ein und dieselbe Person zeigen. Dies hat auch seinen Niederschlag im Text des Bußgeldbescheids gefunden.

c) Es steht der Anwendbarkeit des § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG nicht entgegen, dass die Akte, die am 6.10.2015 beim AG Bad Kreuznach einging, aus Ausdrucken digitaler, bei der Zentralen Bußgeldstelle gespeicherter Dateien besteht. Zum einen handelt es sich um das Original der Papierakte, die bei der Zentralen Bußgeldstelle hergestellt wurden – eine andere Papierakte existiert nicht –, zum anderen folgt aus dem Gesetz nicht, dass nur der Eingang von Originaldokumenten verjährungsunterbrechende Wirkung hätte (BayObLG v. 30.6.1998 – 2 ObOWi 197/98, NZV 1998, 513).

Hinzu kommt, dass die dem Betr. bzw. seinem Verteidiger vorschwebende Vorlage von Originaldokumenten in tatsächlicher Hinsicht an Grenzen stößt. Bei einem Papierdokument, das mittels einer EDV-Anlage hergestellt wird, ohne Unterschrift und/oder Stempel wirksam ist und auch so versandt wird, gibt es in aller Regel kein Original mit individuellen Merkmalen, sondern lediglich Ausdrucke, die in beliebiger Anzahl herstellt werden können. Gleiches gilt für die Ausdrucke von Lichtbildern, die von teil- oder vollautomatischen Messanlagen von vornherein als digitale Dateien hergestellt werden ebenso wie für digitalisierte Videoprints in digital erstellten Auswerteprotokollen.

Eichscheine, Schulungsbescheinigungen, Messprotokolle u.Ä. existieren zwar im Original in Papierform, dies allerdings bei weitem nicht ...

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