Die Kraftfahrtversicherung ist keine Einheitsversicherung, sondern die Zusammenfassung mehrerer Versicherungsverträge. Gefahrerhöhungen, Anzeigepflicht- und Obliegenheitsverletzungen sind somit für jede Sparte gesondert zu prüfen.

I. Grobe Fahrlässigkeit

Bei grober Fahrlässigkeit ist der Versicherer berechtigt, "seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen" (§ 81 Abs. 2 VVG).

1. Fahruntüchtigkeit

Bei absoluter Fahruntüchtigkeit (2,19 ‰) ist eine Kürzung auf Null gerechtfertigt. Wenn der Versicherungsnehmer schon vor Trinkbeginn damit rechnet, dass er später unter Alkoholeinfluss mit seinem Kraftfahrzeug fahren wird, ist ein Verkehrsunfall grob fahrlässig mit der Folge der Leistungsfreiheit des Kaskoversicherers herbeigeführt.

Der Kläger war aus einer Klinik in eine Gaststätte gefahren und hatte dort Alkohol zu sich genommen. Auf dem Rückweg in die Klinik kam es zu einem Unfall. Das OLG Köln ließ auch nicht die Einlassung des Klägers gelten, er sei aufgrund der in der Klinik eingenommenen Medikamente bereits schuldunfähig gewesen, bevor er alkoholische Getränke zu sich genommen habe. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Unzurechnungsfähigkeit liege beim Kläger. Mangels hinreichender Anknüpfungstatsachen sei auch der angebotene Sachverständigenbeweis ungeeignet.[38]

[38] BGH, IV ZR 225/10, VersR 2011, 1037; OLG Köln, 9 U 20/17, zfs 2017, 692 = r+s 2018, 15.

2. Navigationsgerät

Wenn während hoher Geschwindigkeit das Navigationsgerät betätigt wird und der Fahrer von der Fahrbahn abkommt, kann die Leistung wegen grober Fahrlässigkeit um 50 % gekürzt werden.

Der Kläger war bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h mit einem Mietwagen von der linken Fahrbahn einer Autobahn abgekommen und gegen die Mittelleitplanke gestoßen.[39]

[39] OLG Nürnberg, 13 U 1296/17, zfs 2019, 453 = NJW-RR 2019, 1051.

3. Steckender Schlüssel

Wenn ein versichertes Fahrzeug in einer Einfahrt mit steckendem Schlüssel abgestellt wird, ist eine Kürzung der Kaskoleistung um 75 % gerechtfertigt.[40]

[40] OLG Dresden, 4 U 2082/19, r+s 2020, 703.

II. Arglist

Bei Arglist gilt das Kausalitätsprinzip nicht.

Unrichtige Angaben zur Laufleistung des gestohlenen Fahrzeuges können einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers darstellen. Die Angabe "100.000 km", der eine Tilde (Schlangenlinie) vorangestellt wird, macht deutlich, dass es sich um eine Schätzung handelt. Abweichungen von 10 % zur tatsächlichen Laufleistung rechtfertigen keinen Rückschluss auf eine Täuschungsabsicht.

Der Geschädigte hatte durch zwei Schlangenlinien vor der Kilometerangabe deutlich gemacht, dass er den genauen Kilometerstand nicht kannte. Unter Berücksichtigung der bisherigen Kilometerleistung kam allenfalls eine tatsächliche Leistung von 110.000 km in Betracht, die jedoch nicht den Vorwurf der arglistigen Täuschung rechtfertigt.[41]

III. Unfallbegriff

Unfall ist "ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis" (A.2.2.2.2 AKB 2015).

1. Wenn ein Fahrzeug durch eine Vielzahl von Kratzern beschädigt worden ist, liegt ein versicherter Unfall vor. Selbst wenn das Zerkratzen einige Minuten gedauert hat, ist auch das Merkmal der "Plötzlichkeit" verwirklicht.[42]

2. Wenn ein Reifen wegen fehlerhafter Montage platzt, ist nicht von einem Unfall auszugehen. Der Unfallbegriff ist nur dann erfüllt, wenn in den Reifen ein Fremdkörper eingedrungen ist, der den Reifenplatzer verursacht.[43]

[42] OLG Hamm, 20 U 42720, VersR 2020, 1040.

IV. Unfallflucht

Das Verlassen der Unfallstelle ist nicht in jedem Fall eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit, da diese voraussetzt, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Auch insoweit ist der Kausalitätsgegenbeweis möglich.

1. Die allgemeine Annahme, dass bei Unfallflucht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit bestehe, ist ungerechtfertigt.

Im entschiedenen Fall hatte sich der Unfall an einem Werktag zur Mittagszeit ereignet. Das Gericht hat den Kausalitätsgegenbeweis als geführt angesehen, da die Unfallverursachung als solche eindeutig war, der Versicherungsnehmer hatte ein parkendes Fahrzeug beschädigt.[44]

2. Bei einem Leitplankenschaden auf einer Autobahn steht der Wartepflicht das Halteverbot gemäß § 18 Abs. 2 StVO entgegen.

Der Versicherungsnehmer hatte mit einem Leasingfahrzeug auf einer Autobahn eine Leitplanke beschädigt und den Schaden zwei Tage später seiner Versicherung gemeldet. Diese beauftragte einen DEKRA-Gutachter, welcher für den Schutzplankenschaden Reparaturkosten in Höhe von EUR 11.173,36 ermittelte. Das OLG Celle führt aus, dass der Schaden am Leasingfahrzeug keinen Fremdschaden i.S.v. § 142 Abs. 1 StGB darstelle. Eine feststellungsbereite Person an der der Unfallstelle habe es nicht gegeben. Der Versicherungsnehmer habe...

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