Dem Anscheinsbeweis kommt im Arzthaftungsprozess nur eine unbedeutende Rolle zu. Typische Geschehensabläufe, die nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hindeuten, sind wegen der Unwägbarkeiten des menschlichen Körpers äußerst selten.[48]

So gibt es keinen Erfahrungssatz, dass eine seltene Komplikation auf einen ärztlichen Fehler zurückzuführen ist.[49] Selbst bei engem zeitlichem Zusammenhang zwischen einer Injektion und dem Auftreten eines Spritzenabszesses spricht kein Anscheinsbeweis für eine mangelhafte Desinfektion, wenn nicht festgestellt wurde, dass die erforderlichen Desinfektionsmaßnahmen nicht beachtet wurden.[50] Im zahnärztlichen Bereich kann von der nach einer eingeleiteten Leitungsanästhesie aufgetretenen Schädigung des Nervus lingualis nicht auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden.[51]

Dagegen wurde in einem aktuellen Urteil im Wege des Anscheinsbeweises angenommen, dass einem Patienten erst durch eine Bluttransfusion das HI-Virus übertragen wurde, wenn nach einer Blutübertragung eines an AIDS erkrankten Spenders bei mehreren nicht zu einer Risikogruppe gehörenden Empfängern später jeweils eine HIV-Infektion festgestellt wurde.[52] Ein Anscheinsbeweis wurde auch bei einem Spritzenabszess nach einer Injektion und festgestellten gravierenden Hygienemängeln bejaht.[53]

[48] Gehrlein, Rn B 118.
[49] OLG Jena GesR 2005, 556, 557; OLG Hamburg MDR 2002, 1315 für den Fall einer Infektion.
[50] OLG Koblenz OLGR 2006, 913, 914.
[51] OLG Jena OLGR 2006, 710, 712.
[52] BGH VersR 2005, 1238; vgl. hierzu auch Katzenmeier, NJW 2005, 3391 ff.
[53] OLG Koblenz OLGR 2006, 913, 914.

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