[4] II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

[5] 1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kl. in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senat NJW-RR 2022, 426 Rn 6; NJW-RR 2018, 957 Rn 6).

[6] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

[7] a) Das BG hat ausgeführt, nach der teilweisen Rücknahme der Berufung betrage die Beschwer des Kl. nur noch 597,74 EUR. Der Wert des Beschwerdegegenstands erreiche die Berufungssumme von mehr als 600 EUR nicht mehr und die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sei entfallen. Eine zunächst zulässige Berufung könne unzulässig werden, falls der Berufungsführer seinen Berufungsantrag willkürlich auf einen unterhalb der Berufungssumme liegenden Wert beschränke. Das erfasse Fälle, in denen der Berufungsführer aus eigener Entschließung, also nicht als Reaktion auf ein Verhalten seines Gegners, den Berufungsantrag nachträglich beschränke. Dabei komme es nicht darauf an, welches Motiv der Entschließung zugrunde liege. Die vom Kl. vorsorglich erklärte Anfechtung der teilweisen Klagerücknahme greife nicht. Die Berufungsrücknahme unterliege als Prozesshandlung nicht der Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB. Auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften verbiete sich, weil das Prozessrecht die Verfahrenslage weitgehend vor Unsicherheit schützen wolle und deshalb einen Widerruf von Prozesshandlungen nur in vorliegend nicht gegebenen Ausnahmefällen zulasse.

[8] b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

[9] aa) Es kann offenbleiben, ob die mit der Berufung angegriffene Beschwer des Kl. nach der teilweisen Rücknahme der Berufung die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht mehr erreicht hat, Auch wenn der Kl. seinen Berufungsantrag willkürlich, also aus eigener Entschließung und nicht als Reaktion auf ein Verhalten seines Gegners, auf einen unterhalb der Berufungssumme liegenden Wert beschränkt hat und seine Berufung damit zunächst unzulässig geworden ist (vgl. BGH WuM 2017, 220 Rn 8; NJW-RR 2009, 126 Rn 5), hat das BG die Berufung nicht wie geschehen verwerfen dürfen. Es hat dem Kl. jedenfalls die Möglichkeit genommen, das Rechtsmittel bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz wieder so zu erweitern, dass die Berufungssumme erreicht wird.

[10] Ein Berufungsführer kann seine Berufungsanträge – auch nach zwischenzeitlicher Beschränkung und nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist – erweitern, sofern die erweiterten Anträge durch rechtzeitig vorgebrachte Anfechtungsgründe im Sinne von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO gedeckt sind. Regelmäßig kann deshalb erst zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz beurteilt werden, ob der Wert des Beschwerdegegenstands die Beschwerdesumme erreicht. Solange diese Möglichkeit besteht, darf die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig verworfen werden, die Berufungssumme sei unterschritten (BGH WuM 2017, 220 Rn 9; VersR 2012, 773 Rn 7 f.; NJW-RR 2008, 584 Rn 9 f.; NJW-RR 2005, 714 unter II 2 a [juris Rn 10]).

[11] So liegt es hier. Ungeachtet der teilweisen Berufungsrücknahme hätte der Kl. seine Berufung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz wieder auf die ursprünglich geltend gemachten 717,31 EUR erweitern können. Der entsprechende Angriff wäre durch die fristgerecht eingereichte Berufungsbegründung gedeckt gewesen, die Ausführungen zum Bestehen des geltend gemachten Anspruchs in dieser Höhe enthält. Hätte der Kl. seine Berufung entsprechend erweitert, wäre die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wieder erreicht worden.

[12] bb) Vergeblich beruft sich die Beschwerdeerwiderung demgegenüber auf Rechtskraftwirkungen der teilweisen Berufungsrücknahme. Ein Urteil wird rechtskräftig, soweit jede Möglichkeit seiner Änderung im Rechtsmittelzug ausgeschlossen ist (BGH VersR 2021, 1057 Rn 19; NJW 1992, 2296 unter II 1 [juris Rn 11]). Danach ist die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils vorliegend ungeachtet der teilweisen Berufungsrücknahme im Umfang der ursprünglichen Berufung gemäß § 705 Satz 2 ZPO gehemmt gewesen, weil der Kl. seine Berufung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz wieder auf diesen Umfang hätte erweitern können. Soweit die Beschwerdeerwiderung in diesem Zusammenhang auf § 516 Abs. 3 ZPO verweist, vermag sie hiermit nicht durchzudringen, da vor Erlass des Urteils eine erneute Ausdehnung der Berufung auf den zurückgenommenen Teil jed...

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