Richtlinie 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1 11 Abs. 1, Abs. 4; FeV §§ 29 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3

Leitsatz

1. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein ist dahin auszulegen, dass vorbehaltlich der in der Richtlinie festgelegten Ausnahmen die in dieser Bestimmung vorgesehene gegenseitige Anerkennung ohne jede Formalität auf Führerscheine anwendbar ist, die infolge eines Umtauschs gemäß Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie ausgestellt wurden.

2. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 ist dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat gestattet, die Anerkennung eines nach Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie umgetauschten Führerscheins mit der Begründung abzulehnen, dass er dem Inhaber dieses Führerscheins vor dem Umtausch die Fahrerlaubnis entzogen hatte.

EuGH, Urt. v. 28.10.2020 – C-112/19

Sachverhalt

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 sowie von Art. 11 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.12.2006 über den Führerschein (ABl 2006, L 403, S. 18). Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn M. und dem Kreis Heinsberg (Deutschland) über dessen Entscheidung, die Anerkennung des Herrn M. von den niederländischen Behörden ausgestellten Führerscheins zu verweigern. Zum Sacherhalt s.a. Rn 49 ff.

Das VG Aachen hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 so auszulegen, dass ein Führerscheindokument, und zwar einschließlich der darin dokumentierten Fahrberechtigungen, von den Mitgliedstaaten auch dann strikt anzuerkennen ist, wenn die Ausstellung dieses Dokuments auf einem Umtausch eines Führerscheindokuments nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 beruht?

2. Falls Frage 1 zu bejahen ist: Darf ein Mitgliedstaat die Anerkennung des umgetauschten Führerscheindokuments gem. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 ablehnen, wenn der Umtausch durch den Ausstellerstaat zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, in welchem der Mitgliedstaat, von dem die materielle Fahrberechtigung herrührt, diese bereits entzogen hatte?

3. Falls Frage 2 zu verneinen ist und eine Anerkennungspflicht besteht: Darf ein Mitgliedstaat die Anerkennung des umgetauschten Führerscheindokuments jedenfalls dann ablehnen, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsbereich sich die Frage der Anerkennung des Führerscheindokuments stellt, aufgrund "unbestreitbarer Informationen" feststellen kann, dass die materielle Fahrberechtigung zum Zeitpunkt des Umtauschs des Führerscheindokuments nicht mehr bestand?

2 Aus den Gründen:

"… Zu den Vorlagefragen"

Zur ersten Frage

[23] Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene gegenseitige Anerkennung ohne jede Formalität auf Führerscheine anwendbar ist, die infolge eines Umtauschs gem. Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie ausgestellt wurden.

[24] Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 “[werden d]ie von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine (…) gegenseitig anerkannt.'

[25] Nach gefestigter Rspr. des Gerichtshofs sieht diese Bestimmung die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor (Urt. v. 26.10.2017, I, C-195/16, EU:C:2017:815, Rn 34 und die dort angeführte Rspr.).

[26] Da diese Bestimmung nicht nach der Art der Ausstellung des Führerscheins unterscheidet, d.h. danach, ob er infolge bestandener Prüfungen gem. Art. 7 der Richtlinie 2006/126 oder infolge eines Umtauschs gem. deren Art. 11 Abs. 1 ausgestellt wurde, gilt der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vorbehaltlich der in der Richtlinie festgelegten Ausnahmen auch für einen Führerschein, der aus einem solchen Umtausch hervorgegangen ist.

[27] Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen ist, dass vorbehaltlich der in der Richtlinie festgelegten Ausnahmen die in dieser Bestimmung vorgesehene gegenseitige Anerkennung ohne jede Formalität auf Führerscheine anwendbar ist, die infolge eines Umtauschs gemäß Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie ausgestellt wurden.

Zur zweiten und zur dritten Frage

[28] Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen ist, dass er einem Mitgliedstaat gestattet, die Anerkennung eines Führerscheins, der aus einem Umtausch nach Art. 11 Abs. 1 dieser Richtlinie hervorgegangen ist, mit der Begründung abzulehnen, dass er dem Inhaber des umgetauschten Führerscheins vor dem Umtausch die Fahrerlaubnis entzogen hatte.

[29] Diese Fragen stellt das vorlegende Gericht mit Blick darauf, dass zum einen Herr M., bevor die niederländischen Behörden einen Führerschein im Umtauschverfahren nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 ausgestellt ha...

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