Richter sind – das wird zu Recht oft zitiert – keine Subsumtionsmaschinen. Die Persönlichkeit des Richters, nicht nur seine Erfahrungen, sondern auch seine persönlichen Präferenzen und Abneigungen prägen seine Rechtsprechung, auch im Ordnungswidrigkeitenrecht, trotz der Vorgaben für eine Standardisierung.[15] Dass ein Standard in Sachlagen immer zu einem Standard in den Rechtsfolgen führt, ist deshalb ein unerreichbares Ziel. Zu große Diskrepanzen in der Rechtsprechungspraxis können dem Ansehen der Justiz aber schaden. Richter sollten sich der Rechtsprechungspraxis deshalb in ihrer Bandbreite bewusst sein. Das Gleiche gilt für Anwälte, wenn sie ihre Mandanten darüber aufklären, dass der Ausgang von Bußgeldverfahren nicht sicher prognostizierbar ist und Überraschungen stets und in beiden Richtungen möglich sind. Zudem sollten Anwälte auch einen Überblick über die möglichen Entscheidungen haben, um Gerichte auf eine andernorts übliche weichere Rechtsprechungspraxis hinweisen zu können, um im Rahmen des Möglichen und Sinnvollen alles für den Mandanten zu versuchen.

Auf Grund meiner Erfahrungen mit vielen unterschiedlichen Richtern neige ich zu den folgenden Annahmen:

In der ersten Zeit nach Übernahme eines OWi- Dezernats neigen junge Richter auf Probe deutlich eher dazu, besondere Umstände als Grenzfälle zu werten und das Bußgeld zu reduzieren. Dem folgt häufig eine Phase überdurchschnittlicher Härte ohne Differenzierung der Fälle. Bevor sich die Rechtsprechungspraxis einpendeln kann, wechseln diese Richter häufig in ein Zivildezernat.
Richterinnen urteilen in Verkehrs-OWi-Sachen tendenziell härter als Richter[16] und ältere Richter milder als jüngere.
Richter, die ihre Abneigung gegen Bußgeldverfahren überhaupt nicht verstecken ("Ich hasse OWi-Sachen!"), neigen eher dazu, sogar ausnahmslos von Regelfällen auszugehen, während diejenigen, die bei geeigneten Anlässen auch mal zwischen Regel- und Grenzfall differenzieren, die OWi-Rechtsprechung als "Lackmus-Test für den Rechtsstaat" sehen.
[15] Glaubt man entsprechenden Berichterstattungen, sollen auch der bauliche Zustand des Gerichts oder ob Verhandlungstermine vor oder nach der Mittagspause des Richters liegen, Einfluss auf seine Bußgeldrechtsprechung haben.
[16] Strafverteidiger bestätigen mir, dass dies im Jugendstrafrecht umgekehrt sein soll.

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