Zugegeben: Es verblüfft, dass die VN, deren Ziel in den Verhandlungen mit dem VR ein Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.700 EUR monatlich war, jetzt zwei Rentenleistungen in Höhe von je 1.000 EUR erhält. Das ist aber – aufgrund einer fehlerhaften Vertragsgestaltung des VR und seiner zögerlichen Antragsprüfung – vom LG Verden völlig richtig gesehen worden.

Der Vertrag über eine vorläufige Deckung ist ein selbständiger, eigenen Regeln folgender Versicherungsvertrag (§ 49 VVG). Im Streitfall ist er mit Eingang des Antrags auf Abschluss des Hauptvertrages zustande gekommen, weil der VR das so angeboten und die VN es angenommen hatte. Der VR hat folglich auf eine Risikoprüfung – für diesen Vertrag – verzichtet, sodass selbst eine arglistige Täuschung durch die VN oder eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit (in Bezug auf ihn) ohne rechtliche Folgen gewesen wäre. Beendet worden ist der Vertrag über vorläufige Deckung mit Ablauf einer Frist von 14 Tagen nach der Ablehnung des Hauptvertragsabschlusses und der damit einhergehenden Kündigung durch den VR (§ 52 Abs. 4 VVG). Da der Versicherungsfall zuvor eingetreten war, hat die VN einen Anspruch auf Zahlung der versprochenen Rente aus diesem Vertrag über vorläufige Deckung.

Dass mit dem Antrag auf Abschluss des Hauptvertrages der Antrag verbunden war, im Fall der Annahme den bereits bestehenden "Altvertrag" aufzuheben, ist unerheblich, weil der VN den Antrag ja nicht angenommen hat.

Zu Recht hat das LG Verden insoweit eine "ergänzende Vertragsauslegung" abgelehnt. Der Vertrag über vorläufige Deckung wies keine Lücke auf, sie musste daher auch nicht geschlossen werden.

Was hätte der VR – abgesehen von einer schnelleren Antragsprüfung – tun können? Er hätte eine Regelung über den rückwirkenden Wegfall der vorläufigen Deckung vereinbaren können, wie sie das Recht der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (AKB B 2.4) für den Fall des Erstprämienverzuges kennt. § 52 Abs. 1 VVG schließt eine solche Regelung nicht aus (Langheid/Rixecker, 6. Aufl. 2019, § 52 Rn. 13 ff.). Ob eine solche Klausel allerdings einer Wirksamkeitskontrolle nach § 307 BGB standhielte, ist offen. Angesichts des fortbestehenden Versicherungsschutzes aus dem "Altvertrag" erschiene sie allerdings nicht von vornherein unangemessen.

Prof. Dr. Roland Rixecker

zfs 3/2022, S. 150 - 152

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