BGB § 249 Abs. 2 S. 1

Leitsatz

1. Hat der Geschädigte die Reparaturkostenrechnung noch nicht bezahlt, kann der auf Grundlage eines Schadengutachtens erteilte Reparaturauftrag ein Indiz für den erforderlichen Herstellungsaufwand im Sinne § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sein.

2. Das Prognose- und Werkstattrisiko trifft den Schädiger ab Erteilung des Reparaturauftrags und unabhängig davon, ob der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits bezahlt hat.

LG Saarbrücken, Urt. v. 22.10.2021 – 13 S 69/21

1 Aus den Gründen:

I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf restliche Reparaturkosten aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 22.1.2020 in … ereignete und bei dem das Fahrzeug des Klägers, ein Ford Fiesta, beschädigt wurde. Die alleinige Haftung der Beklagten steht außer Streit. Der Kläger holte vorgerichtlich ein Schadengutachten ein, das Reparaturkosten in Höhe von 4.163,80 EUR ausweist. Auf Grundlage des Gutachtens ließ der Kläger das Fahrzeug bei der Firma … reparieren, die ihm hierfür mit – bislang nicht beglichener – Rechnung Nr. … vom 2.3.2020 einen Betrag von 4.190,86 EUR in Rechnung stellte. Die Beklagte zahlte vorgerichtlich einen Betrag von 3.905,50 EUR.

Mit seiner am 20.1.2021 zugestellten Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf restliche Reparaturkosten in Höhe von 285,36 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen in Anspruch. Er hat erstinstanzlich geltend gemacht, die in Rechnung gestellten Reparaturkosten seien zur Schadensbehebung erforderlich. Die Beklagte treffe zudem das Werkstatt- und Prognoserisiko. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die erforderlichen Reparaturkosten beliefen sich lediglich auf 3.905,50 EUR, da nicht alle von der Werkstatt vorgenommenen Reparaturmaßnahmen erforderlich gewesen seien. Im Fall einer unbezahlten Rechnung der Reparaturwerkstatt könne sich der Geschädigte nicht auf die subjektbezogene Schadensbetrachtung berufen, ferner trage der Schädiger auch nicht das Werkstattrisiko. Der Kläger könne einen Ausgleich auch nur Zug um Zug gegen Abtretung seiner etwaigen Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt verlangen.

Das Amtsgericht … hat die Beklagte zur Zahlung von 285,36 EUR nebst Zinsen seit dem 20.1.2021 verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Geschädigte könne im Fall einer tatsächlich durchgeführten Reparatur die Reparaturkosten stets in dem Umfang verlangen, in dem sie angefallen seien. Die durch die Rechnung ausgewiesenen Kosten indizierten deren Erforderlichkeit auch dann, wenn der Geschädigte die Rechnung noch nicht bezahlt habe. Die Indizwirkung ergebe sich bei der konkreten Schadensberechnung alleine daraus, dass die Reparaturarbeiten auf Grundlage eines zuvor erstellten Gutachtens veranlasst worden seien. Die Beklagte treffe auch im Fall einer unbeglichenen Reparaturrechnung das Werkstattrisiko.

Hiergegen richtet sich die von dem Amtsgericht zugelassene Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt und hilfsweise eine Verurteilung Zug um Zug gegen Abtretung der dem Kläger gegenüber der Reparaturwerkstatt zustehenden Schadensersatzansprüche begehrt …

II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie nur insoweit Erfolg, als die Beklagte zur Zahlung des begehrten Schadensersatzes nur Zug um Zug gegen Abtretung möglicher gegenüber der Reparaturwerkstatt bestehender Schadensersatzansprüche verlangen kann und Zinsen erst seit dem 21.1.2021 zuzuerkennen sind.

1. Zutreffend und von der Berufung unbeanstandet ist das Erstgericht im Ausgangspunkt davon ausgegangen, dass der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung denjenigen Geldbetrag verlangen kann, der vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Eigentümer in der Lage des Geschädigten zweckmäßig und notwendig erscheint. Der Geschädigte ist dabei nach dem in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, wobei das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht absolut, sondern nur im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage gilt. Nimmt der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Schadensbehebung selbst in die Hand, ist der zur Herstellung erforderliche Aufwand daher nach der besonderen Situation zu bemessen, in der sich der Geschädigte befindet, und insbesondere Rücksicht auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2019 – VI ZR 45/19, NJW 2020, 144 m.w.N.). Ebenso zutreffend ist das Erstgericht ferner davon ausgegangen, dass der Schädiger das sog. Werkstatt- und Prognoserisiko trägt (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.1974 – VI ZR 42/73, BGHZ 63, 182; Urt. v. 30.5.1978 – VI ZR 199/76, NJW 1978, 2592; Urt. v. 15.10.1991 – VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364; Urt. v. 10.7.2007 – VI ZR 258/06, NJW 2007, 2917; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Str...

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