Die Vertretung einer Mindermeinung begründet keinen Schadensersatz wegen Ausübung eines nicht bestehenden Gestaltungsrechts – hier Widerruf einer Schenkung wegen Verarmung des Schenkers gem. § 528 BGB.

Nach BGH, Urteil vom 16.1.2009, Az. V ZR 133/08 kann gem. § 280 BGB ein Schadensersatzanspruch zur Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten einer Partei entstehen, soweit eine offensichtlich nicht bestehende Forderung oder ein offensichtlich nicht bestehendes Gestaltungsrecht ausgeübt wird. Insoweit verletzt eine Vertragspartei ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB, wenn sie von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist.

Die objektive Pflichtverletzung begründet aber nur in Ausnahmefällen eine Schadensersatzpflicht zur Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der zu Unrecht in Anspruch genommenen Vertragspartei, wenn die Pflichtverletzung zugleich subjektiv zu vertreten ist. Denn die Berechtigung einer Forderung kann sicher nur in einem Rechtsstreit geklärt werden. Dessen Ergebnis vorauszusehen kann von einem Gläubiger im Vorfeld oder außerhalb eines Rechtsstreits nicht verlangt werden. Das würde ihn in diesem Stadium der Auseinandersetzung überfordern und ihm die Durchsetzung seiner Rechte unzumutbar erschweren (Haertlein, MDR 2009, 1, 2 f).

Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) entspricht der Gläubiger nach der Rechtsprechung des BGH vielmehr schon dann, wenn er prüft, ob die Vertragsstörung auf eine Ursache zurückzuführen ist, die dem eigenen Verantwortungsbereich zuzuordnen, der eigene Rechtsstandpunkt mithin plausibel ist – sog. Plausibilitätskontrolle (vgl. BGH, Urt. v. 23. Januar 2008, Az. VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147, 1148). Wenn die Rechtslage schwierig zu überblicken und die eigene Rechtsposition jedenfalls vertretbar ist, muss sich der Gläubiger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerade nicht zurückhalten; es kann ihm nicht vorgehalten werden, seinen eigenen Standpunkt zu vertreten (BGH, Urteil vom 16.1.2009, Az. V ZR 133/08). Eine Vertragspartei haftet nach BGH, Urteil vom 7.12.2006, Beck RS 2007, 00791, grundsätzlich nicht für die fahrlässige Fehleinschätzung der Rechtslage.

Dieser Rechtsprechung folgt das Amtsgericht Bingen am Rhein in seiner rechtskräftigen und zutreffenden Entscheidung vom 12.3.2015, Az. 25 C 21/14, im Fall eines Widerrufs einer Schenkung wegen Verarmung des Schenkers gem. § 528 BGB. Zwischen Schenker und Beschenkten bestand Streit über eine Rechtsfrage, wie die Vorschrift des § 528 BGB auszulegen ist.

Nach der wohl herrschenden Meinung, v. a. BGH, Urteil vom 26.10.1999, X ZR 69/97, wird im Rahmen des § 528 BGB – und anders als bei § 519 BGB – eine konkrete Vermögensbeeinträchtigung zur Begründung des Notbedarfs gefordert (monatliche Unterdeckung). Ein bestehendes Restvermögen muss grundsätzlich bis auf das Zumutbare (Schonvermögen) eingesetzt werden. Erst dann sei eine gegenwärtige Verarmung iSv § 528 BGB gegeben, die zum Widerruf berechtigt. Die Frage der Zumutbarkeit ist im Wege der Auslegung der Umstände im Einzelfall durch den Tatrichter zu beantworten (BGH, Urteil vom 5.11.2002, Az. X ZR 140/01).

Nach anderer Auffassung genügt im Rahmen des § 528 BGB, eben wie bei § 519 BGB, schon eine Vermögensgefährdung zur Begründung des Notbedarfs und nicht erst eine konkrete Vermögensbeeinträchtigung: Nach Palandt/Weidenkaff, BGB, § 528 Rn 1 entspricht die Regelung für den Notbedarfsfall des Schenkers nach vollzogener (auch gemischter) Schenkung der Regelung des § 519 BGB. Danach genügt es wiederum, dass für die Zukunft die begründete Besorgnis nicht ausreichender Mittel besteht (Palandt/Weidenkaff, BGB, § 519 Rn 4).

Ähnlich vertritt es OLG Köln, Urteil vom 7.4.1997, Az. 16 U 47/95, wonach auch die künftigen Verpflichtungen maßgeblich und zu berücksichtigen sind, sowie VG Düsseldorf, Urteil vom 22.8.2008, Az. 21 K 4231/06, welches schon an einen drohenden Notbedarf anknüpft. Im Zweifel ist nach LG Karlsruhe, Urteil vom 5.8.1993, Az. 5 S 115/93 eine anspruchsbegünstigende Auslegung des § 528 BGB geboten.

Der auf Schadensersatz in Anspruch genommene Schenker stützte im Fall des Amtsgerichts Bingen am Rhein seinen Widerruf u. a. auf die Mindermeinung. Dieser Standpunkt war vertretbar, respektive plausibel. Dabei irrte er zwar über die Rechtslage, wie die Vorschrift des § 528 BGB auszulegen ist. Über die tatsächliche Sachlage irrte er hingegen nicht.

Die Entscheidung des Amtsgerichts Bingen am Rhein dürfte allgemeine Bedeutung haben, wenn es um die Vertretung von nicht herrschenden, bzw. nicht höchstrichterlichen Rechtsauffassungen geht. Es muss einer Vertragspartei bei der Auslegung von Rechtsvorschriften unbenommen sein, auch Mindermeinungen zu vertreten, ohne dabei entsprechende Schadensersatzansprüche auszulösen (Amtsgericht Bingen am Rhein, Urteil vom 12.3.2015, Az. 25 C 21/14). Zugunsten der Rechtsfortbildung dürfen im Vorfeld einer gerichtlichen Auseinandersetzung besti...

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