Die überwiegende Literatur der 90er- und frühen 2000er-Jahre folgte dem VGH Mannheim jedenfalls dann, wenn es an einer adäquaten Gegenleistung fehlte, wobei unterschiedliche Anforderungen an die Bedürftigkeit des Verzichtenden und die diesbezügliche Kenntnis der Beteiligten gestellt wurden.[89] Neuerdings sind die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zum Unterhaltsverzicht[90] und die Zugriffsvereitelung als alleiniges Motiv[91] vereinzelt als Argument für die Sittenwidrigkeit wiederentdeckt worden.

Dagegen verneint die weit überwiegende Auffassung insbesondere im jüngeren Schrifttum die Sittenwidrigkeit des Verzichts[92], unter anderem weil das Pflichtteilsrecht lediglich eine unsichere Erwerbshoffnung darstellt (aleatorische Natur, Wagnischarakter), und damit keine bestehende Erwerbsquelle aufgegeben wird. Zusätzlich wird auf das Motiv hingewiesen, den überlebenden Elternteil abzusichern.[93] Verstärkt werden allerdings die Wertungswidersprüche zu der anerkannten Gültigkeit von Behindertentestamenten betont, wenn Behinderten das Recht genommen wird, Zuwendungen abzulehnen.[94] Zu letzteren gehöre ich.

[89] VGH Mannheim NJW 1993, 2953, 2954 f; OLG Stuttgart NJW 2001, 3484 [unter II 2 c aa]; Juchem, Vermögensübertragung zugunsten behinderter Menschen durch vorweggenommene Erbfolge und Verfügungen von Todes wegen [2001], S. 132, 171; Lambrecht, Der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den erbrechtlichen Erwerb [2001], S. 172; Schumacher, Rechtsgeschäfte zulasten der Sozialhilfe im Familien- und Erbrecht [2000], S. 142 ff; Settergren, Das "Behindertentestament" im Spannungsfeld zwischen PrIV atautonomie und sozialhilferechtlichem Nachrangprinzip [1999], S. 28 ff; Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449, 459 [unter II 3 c]; wohl auch van de Loo, MittRhNotK 1989, 233, 250; neuerdings: Dutta, FamRZ 2010, 841 [unter 4] und AcP 209 (2009) 760 [unter IV 1]; wohl auch Kleensang, RNotZ 2007, 22, 23; aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalles Armbrüster, ZEV 2010, 88 [unter 3].
[90] Settergren aaO.
[91] Armbrüster, ZEV 2010, 88 unter 5.
[92] Wendt, ErbR 2010, 142, 146 f; ZErb 2010, 45, 48 ff und ZNotP 2008, 2, 9; Schotten in Staudinger, BGB [2010] § 2346 Rn 70 b; von Proff, ZErb 2010, 206 [unter III 2]; Vaupel, RNotZ 2010, 141 ff und RNotZ 2009, 497 [unter B I 2 c bb]; Jörg Mayer, ZEV 2007, 556, 559 [unter 2.8]; Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis [2006], Rn 82; Littig/Jörg Mayer, Sozialhilferegress gegenüber Erben und Beschenkten [1999], Rn 177; Sturm, Pflichtteil und Unterhalt [1993], S. 177 ff, 186; wohl auch Engelmann, Letztwillige Verfügungen zugunsten Verschuldeter oder Sozialhilfebedürftiger 2. Aufl. [2001], S. 25 ff; im Streitfall: Bengel/Spall, ZEV 2010, 195 [unter 1] und Litzenburger, FD-ErbR 2010, 297734 [unter Praxishinweis Nr. 2].
[93] Bengel/Spall, ZEV 2010, 195 unter 1; Litzenburger, FD-ErbR 2010, 297734 unter Praxishinweis Nr. 2.
[94] Wendt aaO, insbesondere ErbR 2010, 142, 146 f.

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