Nicht immer wird in der Praxis hinreichend deutlich, ob es sich beim Ehevertrag einerseits und dem Pflichtteilsverzichtsvertrag andererseits um rechtlich voneinander unabhängige Vereinbarungen handelt oder beide Vereinbarungen auch in rechtlicher Sicht als Einheit anzusehen sind. Jedenfalls aus Sicht der Parteien wird indes regelmäßig Letzteres der Fall sein. Ebenfalls hierfür spricht – wenn auch gewiss nicht zwingend – die regelmäßige Zusammenfassung in einer Urkunde.[3] In jedem Fall jedoch fällt die Norm des § 139 BGB als Ausgangspunkt für die hier anzustellenden Überlegungen zur möglichen Infektion des Pflichtteilsverzichtsvertrags durch einen sittenwidrigen Ehevertrag unweigerlich ins Auge des Rechtsanwenders.

§ 139 BGB bildet die gesetzlich normierte Vorsorge für den Fall, dass ein Unwirksamkeitsgrund nur einen Teil eines Rechtsgeschäfts berührt. In Abkehr von dem gemeinrechtlichen Grundsatz utile per inutile non vitiatur[4] sieht die Norm als Folge der Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts im Zweifel die Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts vor.[5] Diese Regelung beruht auf der Erwägung, dass den Beteiligten, die einen einheitlichen umfassenden Rechtserfolg zu verwirklichen bezweckten, eine nur teilweise Verwirklichung dieses Erfolges nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden soll.[6] Damit will § 139 BGB der Durchsetzung der Privatautonomie dienen und verhindern, dass die Parteien an einen Restbestand des Rechtsgeschäfts gebunden werden, den sie als selbstständigen Teil so nicht vereinbart hätten.[7] Aus diesem Zweck der Vorschrift ergibt sich jedoch zugleich, dass ihre widerlegliche Nichtigkeitsvermutung nur für den Fall gilt, dass die insoweit vorrangige Feststellung des hypothetischen Parteiwillens nicht zu einem abweichenden Ergebnis führt[8] (vgl. auch den Wortlaut des § 139 HS. 2 BGB). Für die Entscheidung darüber, ob die Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts auch die Nichtigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts zur Folge hat, kommt es daher in erster Linie darauf an, welche Entscheidung die Parteien bei Kenntnis der Sachlage nach Treu und Glauben sowie vernünftiger Abwägung getroffen hätten.[9] Weitgehende Einigkeit besteht ferner darüber, dass der Anwendungsbereich des § 139 BGB in dem Sinne subsidiär ist, dass der Schutzzweck von Nichtigkeitsnormen vorgeht.[10] Demzufolge ist zunächst immer zu fragen, ob nicht der innere Grund, aufgrund dessen die rechtsgeschäftliche Regelung zum Teil nichtig ist, nach ihrem Sinn zugleich darüber bestimmt, ob die Nichtigkeit das ganze Rechtsgeschäft oder nur den fraglichen Teil ergreift.[11]

Auf die in § 139 BGB formulierte Grundregel kann also nur dann abgestellt werden, wenn sich weder (I) aus dem hypothetischen Willen der Parteien noch (II) aus dem inneren Grund der Teilnichtigkeit ein Hinweis auf die Beantwortung der Frage nach Teil- oder Gesamtnichtigkeit einer Vereinbarung ergibt.[12]

[3] Wachter, ZErb 2004, 238, 244; vgl. dazu auch Muscheler, in FS Spiegelberger, S. 1079, 1084 f.
[4] Hierzu Seiler, in FS Kaser, S. 127, 144 ff.
[5] Palandt/Ellenberger, § 139 Rn 1.
[6] So schon RG, JW 1908, 445.
[7] Larenz/Wolf, § 45 Rn 1; Staudinger/Roth, § 139 Rn 1.
[8] Staudinger/Roth, § 139 Rn 2; MüKo-BGB/Busche, § 139 Rn 1 und 29 ff; Flume, Rechtsgeschäft, S. 581; Larenz/Wolf, § 45 Rn 21 ff.
[9] BGH, WM 1997, 625, 627 = NJW-RR 1997, 684; Staudinger/Roth, § 139 Rn 2; Palandt/Ellenberger, § 139 Rn 14.
[10] Staudinger/Roth, § 139 Rn 3.
[11] Flume, Rechtsgeschäft, S. 576; ferner Roth, JZ 1989, 411, 415.
[12] Allgemein zur Abkehr von der Grundkonzeption des § 139 BGB in Rechtsprechung und Schrifttum vgl. MüKo-BGB/Busche, § 139 Rn 2; Roth, JZ 1989, 411, 418 f; Hager, S. 107 ff.

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