II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, weil der angefochtene Beschl. v. hier funktionell unzuständigen Rechtspfleger erlassen worden und daher aufzuheben ist.

1. Zur Entscheidung über die Einziehung von Erbscheinen ist beim Nachlassgericht funktionell grundsätzlich der Rechtspfleger zuständig, § 3 Nr. 2 lit. c RPflG i.V.m. § 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG. Es gibt jedoch bundes- und landesrechtliche Richtervorbehalte. Der bundesrechtliche Richtervorbehalt des § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG ist in Niedersachsen nicht anwendbar (a); nach dem landesrechtlichen Richtervorbehalt des § 14 Abs. 1 S. 2 ZustVO-Justiz ist hier funktionell der Nachlassrichter zuständig (b).

a) Der Richtervorbehalt § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG ist in Niedersachsen nicht anwendbar: Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 RPflG sind die Landesregierungen ermächtigt, Richtervorbehalte aufzuheben, soweit sie (unter anderem) Geschäfte nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG betreffen. Dies umfasst auch die Einziehung von Erbscheinen.

Das Land Niedersachsen hat diese Befugnis dem Ministerium für Justiz übertragen (§ 1 Nr. 7 der Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen auf den Gebieten der Rechtspflege und der Justizverwaltung [Subdelegationsverordnung-Justiz] vom 6.7.2007). Dieses hat von der Ermächtigungsgrundlage durch die Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung (ZustVO-Justiz) vom 18.12.2009 Gebrauch gemacht. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 ZustVO-Justiz sind die Richtervorbehalte unter anderem für die Geschäfte nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG aufgehoben, also auch für die Einziehung von Erbscheinen.

b) Der niedersächsische Verordnungsgeber hat – auf Basis der Öffnungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 RPflG – statt des Richtervorbehalts nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG den in § 19 Abs. 2 RPflG für den Fall des Gebrauchs der Öffnungsklausel vorgeschriebenen anderen Richtervorbehalt geschaffen (vgl. OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.8.2020 – 3 W 92/20, MDR 2020, S. 1321 [1322] m.w.N.). Die Aufhebung des Richtervorbehaltes ist nur für einvernehmliche Verfahren vorgesehen; für den Fall, dass gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden, sieht § 19 Abs. 2 RPflG eine Vorlagepflicht an den Richter vor (Schmid, RPflG, 1. Auflage 2012, § 19 Rn 2). Ein solches streitiges Verfahren liegt vor, wenn zwischen widerstreitenden, im Verfahren klar zum Ausdruck gebrachten Positionen verschiedener Beteiligter zu entscheiden ist. Dabei kommt es weder auf einen förmlichen Antrag noch auf die förmliche Beteiligtenrolle der Vertreter der widerstreitenden Interessen an. Insoweit sind maßgeblich allein die im Verfahren zum Ausdruck gebrachten unterschiedlichen Rechtspositionen (Burandt/Rojahn/Gierl, Erbrecht, 3. Auflage 2019, § 352e FamFG Rn 6; Firsching/Graf/Krätzschel, Nachlassrecht, 11. Auflage 2019, § 38 Rn 16). Diese Vorlagepflicht ist in § 14 Abs. 1 S. 2 ZustVO-Justiz umgesetzt worden. Danach hat der Rechtspfleger das Verfahren dem Richter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen, soweit gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden (vgl. Firsching/Graf/Krätzschel, Nachlassrecht, 11. Auflage 2019, § 38 Rn 16, § 39, Rn 5).

Dies ist hier der Fall, denn der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 23.4.2020 Einwände gegen die Einziehung des Erbscheins erhoben; er zweifelt an, dass das Testament vom 3.3.2008 tatsächlich zeitlich nach dem vom 29.12.2005 errichtet worden sei; es bestehe der Verdacht, dass das Datum auf dem vermeintlich jüngeren Testament nachträglich angebracht worden sei. Aufgrund des Schriftsatzes vom 23.4.2020 hätte der Rechtspfleger die Sache gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 ZustVO-Justiz dem Nachlassrichter zur weiteren Bearbeitung vorlegen müssen (vgl. OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.8.2020 – 3 W 92/20, MDR 2020, S. 1321 [1322] m.w.N.).

2. Hat – wie hier – statt des zuständigen Richters der unzuständige Rechtspfleger entschieden, ist die Sache – unabhängig von ihrer etwaigen inhaltlichen Richtigkeit – vom Beschwerdegericht aufzuheben, an das Nachlassgericht zurückzuverweisen und zugleich dem Richter vorzulegen (OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.8.2020 – 3 W 92/20, MDR 2020, S. 1321 [1322] m.w.N.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 61 Abs. 1 S. 1 GNotKG. Danach ist für den Wert eines Beschwerdeverfahrens der Antrag des Beschwerdeführers maßgeblich. Der Beschwerdeführer möchte hier erreichen, dass es bei dem Erbschein vom 28.8.2019 verbleibt, nach dem der gesamte Nachlass zu je ½ auf die Beteiligten aufgeteilt würde und nicht – wie nach dem Testament vom 3.3.2008 – nur das Immobilienvermögen, während die Beteiligte zu 2. das Mobiliarvermögen allein erhielte. Der Wert des Mobiliarvermögens beträgt nach Angaben der Beteiligten zu 2. im Erbscheinsverfahren ca. 40.000,00 EUR (Bl. 89 d.A.), so dass das Interesse des Beschwerdeführers am Erhalt des ursprünglichen Erbscheins mit 20.000,00 EUR zu beziffern ist.

Für die Z...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge