Im vergangenen Jahr richtete ich meine Zeilen unter der Überschrift „Von Risiken und Nebenwirkungen” an Sie, liebe Leserinnen und Leser. Ich sprach davon, dass das Jahr 2023 sicher viele Herausforderungen, aber auch Chancen für uns bereithalten würde. Rückblickend muss ich sagen: Ich lag schon ziemlich richtig, das Ausmaß der Risiken war aber dann doch größer als befürchtet.

Wie in jedem Jahr möchte ich mit Ihnen zurück und nach vorne schauen. Was hat die Anwaltschaft bewegt, was konnten wir erreichen? Beim Rückblick kamen mir unweigerlich die Schlagworte „Angriff” und „Widerstand” in den Sinn, aber auch „Engagement”.

Mich persönlich hat vor allem bewegt, nein bestürzt, welche Angriffe die Selbstverwaltung der Anwaltschaft national wie international erfahren musste. Hierzulande handelte es sich eher um indirekte Angriffe, nämlich solche auf unsere Kernwerte. Der raue Wind, der insb. aus Brüssel zu spüren war und ist, setzte sich bedauerlicherweise auch bei deutschen Gesetzgebungsverfahren fort. Gerade im Bereich der Geldwäschebekämpfung war aus Brüssel immer wieder zu bemerken, dass die Anwaltschaft geradezu als Teil der organisierten Kriminalität behandelt wird. Mit unserem lautstarken Widerspruch – oder Widerstand, wenn ich beim Titel bleiben darf – stehen wir zum Glück nicht allein da, denn Dr. Marco Buschmann hat in den vergangenen Jahren diese haltlose Unterstellung ebenfalls angeprangert. Im Kleinen ist das Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft indes weiterhin spürbar. So mussten wir zuletzt massive Kritik an einem Gesetz üben, das einen beinahe irreführenden Titel trägt: „Wachstumschancengesetz”. Was nach Steuerfairness, Erleichterungen und Fortschritt klang, entpuppte sich auf den zweiten Blick als weiterer Angriff auf das Mandatsgeheimnis. Mitteilungspflichten bei nationaler – legaler – Steuergestaltung hatte man sich erdacht, die unser Ausschuss Steuerrecht zu Recht als „Gedankenkontrolle” bezeichnete.

Auch die zunehmende rechtswidrige Praxis der Sichtung von Korrespondenz zwischen Verteidigern und Beschuldigten hatten wir öffentlich zu beanstanden – ein weiterer Angriff auf die Verschwiegenheitspflicht. Ein Phänomen, das sich zusehends in Folge von Sachverhalten mit Bezug zu Cum-Ex-Fällen oder Sanktionsverstößen regelrecht breitmachte.

Jammern auf hohem Niveau, könnte man sagen, wenn man den Blick gen Israel wendet. Was mit dem geplanten „Justizumbau” begann, der für sich genommen schon eine faktische Abschaffung der Gewaltenteilung intendierte, mündete in dem Plan, die Israel Bar Association aufzulösen. Ein unfassbares Ansinnen, dem Anwalts- und Richterverbände geschlossen entgegentraten. Keiner ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass die Kolleginnen und Kollegen in Israel noch Schlimmeres erwartete: Krieg.

Bei allen rechtspolitischen Konflikten, die wir im Interesse der Anwaltschaft täglich austragen, lässt mich die Situation in Israel – wie auch im vergangenen Jahr in der Ukraine – nicht nur nachdenklich, sondern auch dankbar zurück. Dankbar für unseren Rechtsstaat, zu dessen Funktionieren nicht nur Anwaltschaft, sondern natürlich auch Richterinnen und Richter ihren Teil beitragen, um den Zugang zum Recht für alle gleichermaßen zu sichern.

Wenn ich an den Zugang zum Recht denke, bereitet mir natürlich der Fachkräftemangel erhebliche Sorgen. Einerseits gehen die Zahlen bei den Einzelzulassungen in der Anwaltschaft zurück, andererseits sinken die Absolventenzahlen. Dazu ist ein deutlicher Rückzug der Anwaltschaft aus der Fläche festzustellen. Hoffnung dürfte uns machen, dass sich ein Trend beim juristischen Nachwuchs in Richtung „back to the roots” zeigt. In Gesprächen mit Studierenden sowie Referendarinnen und Referendaren hat sich gezeigt, dass die Verbundenheit mit der Heimatregion in den letzten Jahren stark gestiegen ist.

Nach Abschluss der Ausbildung kehrt man gern zu den Wurzeln zurück. Das lässt Hoffnung aufkeimen, dass die Anwaltschaft auch auf dem Land erhalten bleibt. Fördern ließe sich diese Entwicklung mit der dringend benötigten Reformierung der Juristenausbildung, die unbedingt mehr Praxisbezug verträgt und mehr Softskills vermitteln sollte. Insbesondere der juristische Vorbereitungsdienst sollte vor allem ein Kriterium erfüllen: Auf den Beruf vorbereiten. Eben dies wird von vielen Referendarinnen und Referendaren schmerzlich vermisst. Wenn wir uns um unseren Nachwuchs kümmern wollen, dann sollten wir uns auch dafür einsetzen, dass die Ausbildung, die Juristinnen und Juristen in spe durchlaufen, zukunftssicher ist. Und damit wären wir beim Stichwort „Engagement”. Erste Schritte sind getan: Vielerorts kommt der integrierte Bachelor und das e-Examen. Erste Schritte, aber noch lange nicht genug. Wir müssen noch sehr viel mehr für unseren Nachwuchs, unsere Zukunft, tun. Insbesondere sollten wir ein offenes Ohr haben für die Belange der Studierenden. Nicht ohne Grund unterstützen wir von der BRAK Initiativen von beispielsweise iur.reform und Bundesfachschaft, auch wenn das bedeutet, anlässlich der Ju...

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