Nach § 558d Abs. 3 BGB wird vermutet, dass die in einem qualifizierten Mietspiegel angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben, was prozessual zwar kein echtes Beweismittel, wohl aber eine Beweislastnorm i.S.v. § 292 S. 1 ZPO darstellt (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, § 558d BGB Rn 124 m.w.N.). Die seit 1.7.2022 geltende Fassung von § 558d Abs. 3 BGB enthält die weitere Vermutung, dass die wissenschaftlichen Grundsätze bei Erstellung eingehalten wurden, sofern die Vorgaben der Mietspiegelverordnung (MsV) beachtet wurden (BGBl 2021 I, 3515). Zudem wird gleiches vermutet, wenn sowohl die zuständige Behörde und jeweils ein Verband der Vermieter und der Mieter den Mietspiegel als qualifiziert anerkannt haben.

a) Anwendungsbereich der Vermutungsregelung

§ 558d Abs. 3 BGB gilt nur im Mieterhöhungsprozess nach §§ 558 ff. BGB und ferner bei der für die sog. Mietpreisbremse relevante maximale Wiedervermietungsmiete nach § 556d Abs. 1 BGB, da auch dort die ortsübliche Vergleichsmiete zu bestimmen ist. Keine Geltung hat § 558d Abs. 3 BGB bei zivilrechtlichen Rückforderungsprozessen wegen vermeintlich zu viel gezahlter Miete wegen eines Verstoßes gegen § 5 WiStG (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, § 558d BGB Rn 125).

b) Vermutungsgrundlagen

Die Vermutungswirkung tritt erst ein, wenn die Vermutungsgrundlagen dargelegt und von der beweisbelasteten Partei im Prozess auch bewiesen wurde. Vermutungsgrundlagen sind das Vorhandensein eines einfachen Mietspiegels nach § 558c BGB, die Erstellung nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen, ggf. eine rechtzeitige Anpassung nach zwei Jahren und eine konkrete Einordnungsmöglichkeit der Wohnung in den Mietspiegel (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, § 558d BGB Rn 128). Die Vermutungsgrundlagen müssen bereits bei Zugang des Mieterhöhungsverlangens vorliegen.

c) Darlegungs- und Beweislast bzgl. der Vermutungsgrundlagen

Die Vermutungsgrundlagen müssen prozessual von der Partei dargelegt und ggf. bewiesen werden, die sich auf die Vermutungswirkung berufen will. Das kann je nach konkreter Konstellation Mieter oder Vermieter sein. Im für die Praxis wichtigen Mieterhöhungsprozess ist es für den Fall, dass der Vermieter als Klagepartei seine Mieterhöhung mit Vergleichswohnungen begründet und zu einem Mietzins gelangt, der denjenigen des Mietspiegels übertrifft, erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Mieter als Beklagtenpartei darlegt, dass ein qualifizierter Mietspiegel existiert, der für die konkrete Wohnung Anwendung findet und das Mieterhöhungsverlangen nicht (vollständig) rechtfertigt. Es ist sodann Sache des Vermieters, die schlüssig dargelegten Vermutungsgrundlagen substantiiert zu bestreiten (BGH, Urt. v. 6.11.2013 – VIII ZR 346/12, NZM 2014, 24). Erst wenn im Einzelfall ein solcher substantiierter Angriff gegen die Vermutungsgrundlagen vorliegt, muss das Tatgericht bei Vorliegen eines entsprechenden Beweisangebots über die in § 558d Abs. 3 BGB genannten Vermutungsgrundlagen Beweis erheben (BeckOGK/Fleindl, § 558d BGB Rn 36 f.).

d) Umfang und Reichweite der gesetzlichen Vermutung

Sind im Prozess die Vermutungsgrundlagen dargelegt und unstreitig oder zur Überzeugung des Tatgerichts bewiesen worden, obliegt dem Gegner der volle Beweis des Gegenteils der gesetzlichen Vermutung (§ 292 S. 1 ZPO). Die jeweilige Prozesspartei muss dann den Vollbeweis erbringen, dass die Mietentgelte im qualifizierten Mietspiegel unrichtig sind, was am Ehesten bei Vorliegen von § 558d Abs. 1 S. 3 BGB erfolgversprechend möglich sein dürfte. Der Vollbeweis umfasst den Umstand, dass die in der Mietspiegelverordnung (MsV) festgelegten Maßstäbe nicht eingehalten wurden bzw. der Mietspiegel nicht nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurde (BeckOGK/Fleindl, § 558d BGB Rn 39).

 

Praxistipp:

In der Praxis werden in diesem Zusammenhang häufig Vergleichswohnungen oder Parteigutachten vermieterseits vorgelegt, aus denen sich angeblich ortsübliche Entgelte jenseits des qualifizierten Mietspiegels ergeben sollen. Nach hier vertretener Auffassung können Vergleichswohnungen bereits nicht die Vermutungsregelung substantiiert erschüttern, da bei der Mietspiegelerhöhung nach § 15 Abs. 3 MsV jeweils 1/6 der niedrigsten und der höchsten Mietzinswerte gestrichen werden. Auch durch ein privates Sachverständigengutachten, das andere als die im Mietspiegel ausgewiesene Mietzinse als ortsüblich ermittelt, wird in aller Regel der Vollbeweis des Gegenteils nicht zu erbringen sein, da die Beurteilungsgrundlagen eines privaten Sachverständigengutachtens auf einer sehr viel geringeren Datenbasis beruhen und damit nicht im Ansatz an die statistische Tiefe eines qualifizierten Mietspiegels heranreichen können (ebenso BeckOGK/Fleindl, § 558d BGB Rn 40 f.).

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