1. Ausnahme zu ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache bei Niederlassungserlaubnis

Nach § 9 Abs. 2 S. 1 AufenthG ist u.a. Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, dass der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 AufenthG) sowie über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (§ 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 AufenthG) verfügt.

Ausreichende Kenntnisse liegen vor, wenn sich der Ausländer im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden in seiner deutschen Umgebung sprachlich zurechtzufinden vermag und mit ihm ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch geführt werden kann (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 72 und BT-Drucks. 15/5470, S. 20). Dazu gehört auch, dass der Ausländer einen deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens lesen, verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wiedergeben kann. Den Nachweis hierfür erbringt der Ausländer i.d.R., indem er einen Integrationskurs erfolgreich abschließt (§ 9 Abs. 2 S. 2 AufenthG). Die erforderlichen Sprachkenntnisse können aber auch auf andere Weise – etwa über einen entsprechenden Schulabschluss – nachgewiesen werden (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 72; Nr. 9.2.1.7 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz). Zudem ist gem. § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 AufenthG Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, dass der Ausländer über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt. Die Grundkenntnisse können ebenso wie die erforderlichen Sprachkenntnisse durch die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs, aber auch auf andere Weise – etwa über einen entsprechenden Schulabschluss – nachgewiesen werden.

Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 28.4.2015 (1 C 21.14) dargelegt, wann die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 S. 4 AufenthG gegeben sind, wonach zur Vermeidung einer Härte von den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 und 8 AufenthG abgesehen werden kann. Es betont, dass der Gesetzgeber hier an Fälle gedacht habe, in denen die Betroffenen z.B. trotz verstärkter Bemühungen die Anforderungen unverschuldet nicht erfüllen könnten. Es geht davon aus, dass es insoweit (auch bei strikter Zuwanderungssteuerung im Bereich der wirtschaftlichen Migration) immer Einzelfälle – z.B. im Rahmen der Familienzusammenführung – geben werde, in denen die Betroffenen bei aller Anstrengung – und selbst bei Berücksichtigung von Alter und Bildungsstand – die geforderten Kenntnisse nicht in hinreichendem Maße erwerben könnten (BT-Drucks. 15/420, S. 72 f.). Dies sei z.B. bei "bildungsfernen" Menschen der Fall, die in einer anderen Schriftsprache sozialisiert worden seien. Eine Härte i.S.d. § 9 Abs. 2 S. 4 AufenthG könne ferner auch dann vorliegen, wenn eine körperliche, geistige oder seelische Erkrankung oder Behinderung die Erfüllung der Voraussetzungen zwar nicht unmöglich macht, aber dauerhaft erschwert, wenn der Ausländer bei der Einreise bereits über 50 Jahre alt gewesen sei oder wegen der Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen der Besuch eines Integrationskurses auf Dauer unmöglich oder unzumutbar gewesen sei.

 

Hinweis:

Eine solche Härte hat das BVerwG allerdings abgelehnt bei der Betreuung von kleinen Kindern und die Notwendigkeit der Fahrt zum nächsten Ort des Integrationskurses mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Erziehung eigener Kinder und auch die Sorge für Kinder im Vorschulalter stellten für sich genommen keine Umstände dar, die die Erfüllung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 und 8 AufenthG wesentlich erschwerten. Gleiches gelte auch für den Fall einer ungünstigen Verkehrsanbindung zum nächsten Kursort.

2. Prüfungsumfang bei Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung

Für den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung (§ 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG) ist in der Rechtsprechung des BVerwG entschieden, dass der Widerrufsbescheid umfassend auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen ist und das Gericht auch vom Kläger nicht geltend gemachte Anfechtungsgründe sowie von der Behörde nicht angeführte Widerrufsgründe einzubeziehen hat (BVerwGE 146, 31, Rn. 9). Denn die Aufhebung eines solchen, nicht im Ermessen der Behörde stehenden, Verwaltungsaktes setzt nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO u.a. seine objektive Rechtswidrigkeit voraus; daran fehlt es auch dann, wenn er aus einem im Bescheid oder im Verfahren nicht angesprochenen Grund rechtmäßig ist. Liegt der im Widerrufsbescheid allein angeführte Widerrufsgrund nicht vor, so ist eine Klage erst dann begründet, wenn der Bescheid auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbar ist und er den Adressaten in seinen Rechten verletzt, insbesondere also wenn auch andere in Betracht kommende Widerrufsgründe ausscheiden. Dies entspricht der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime, nach der alle in einem Asylprozess typischerweise relevanten Fragen in einem Prozess abschließend geklärt werden sollen (s.a. BVerwGE 140, 319, Rn. 10).

Diese Grundsätze gelten nach dem Urteil des BVerwG vom 29.6.2015 (1 C 2.15) gleichermaßen auch für den Widerr...

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