In § 55 OWiG ist die Anhörung des Betroffenen vor Erlass eines Bußgeldbescheides vorgeschrieben. Es ist allerdings nicht geregelt, in welcher Form dies zu geschehen hat (zur Anhörung des Betroffenen eingehend Burhoff/Gübner, OWi, Rn 332 ff.). Anders als im Strafrecht (§ 163a StPO) genügt im Bußgeldverfahren auch, dass dem Betroffenen nur Gelegenheit zur Äußerung gegeben wird. Dies kann mündlich an Ort und Stelle, schriftlich durch das Übersenden eines Fragebogens oder mittels protokollarischer Vernehmung erfolgen. Das wird in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren häufig übersehen.

Im Hinblick auf die Aussagepflicht des Betroffenen ist zu unterscheiden, ob es sich um Angaben zur Person oder zur Sache handelt. Da auch im Ordnungswidrigkeitenrecht kein Zwang zur Selbstbezichtigung besteht, steht es dem Betroffenen stets frei, ob er sich inhaltlich mit dem Vorwurf auseinandersetzen will. Über sein Aussageverweigerungsrecht ist der Betroffene ausdrücklich zu belehren (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO), was im schriftlichen Anhörungsverfahren durch entsprechende Vordrucke sichergestellt ist (zur Belehrung des Betroffenen Burhoff/Gübner, OWi, Rn 424 ff.).

 

Hinweise:

Für den Bereich des OWi-Rechts hat der BGH die Frage nach den Folgen einer unterlassenen Belehrung ausdrücklich offengelassen. Allerdings dürfte auch hier ein Verwertungsverbot wegen der möglicherweise schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen (Fahrverbot!) zu bejahen sein (s.a. Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 703 m.w.N. aus der Lit.; Burhoff/Gübner, OWi, Rn 619 ff. m.w.N.; Burhoff VA 2013, 16 ff.).

Der Verteidiger muss auch im OWi-Verfahren die unterlassene Belehrung seines Mandanten in der Hauptverhandlung ggf. mit einem Widerspruch geltend machen (KG VRR 5/2020, 3 [Ls.]; OLG Düsseldorf NZV 2020, 54; OLG Karlsruhe VA 2020, 28; OLG Oldenburg VRS 88, 286; für die Videomessung OLG Hamm VRR 2010, 43 [Ls.]; OLG Rostock VRR 2010, 38, StRR 2010, 37; vgl. noch Burhoff VA 2013, 16; ders., VA 2013, 35; zu den Einzelheiten der Widerspruchslösung Burhoff/Burhoff, HV, Rn 4012 ff. m.w.N.).

Anders als bei den Angaben zur Sache, besteht hinsichtlich der Personalien gem. § 111 OWiG eine generelle Verpflichtung zur Mitwirkung. Ergibt sich aber aus dem Anschreiben, dass die Behörde im Hinblick auf den Adressaten – die Frage nach den Personalien des Fahrers sind freiwillige Angaben zur Sache – über die notwenigen Informationen bereits verfügt, fehlt das berechtigte Interesse an den Daten und damit an einer Rücksendung des Anhörungsbogens (BayObLG NJW 1979, 1054, DAR 1980, 28; OLG Hamm NJW 1988, 274; Burhoff/Gübner, OWi, Rn 341 f.; zum Umfang der Auskunftspflicht a. OLG Hamm VRS 111, 282; VRR 2007, 113; VRR 2013, 394).

Ebenso wie im Strafverfahren gilt auch im Bußgeldverfahren der sog. nemo-tenetur-Satz. Aus einem vollständigen Schweigen dürfen also keine für den Betroffenen nachteilige Schlüsse gezogen werden. Gibt der Betroffene allerdings zu einem einheitlichen Vorgang Teilauskünfte, so kann dem Schweigen i.Ü. eine Indizwirkung zukommen (BGHSt 25, 365; eingehend zu diesen Fragen Burhoff/Burhoff, OWi, Rn 922 ff.; Burhoff/Gübner, OWi, Rn 344 ff. und Burhoff/Burhoff, EV, Rn 2017 ff. jeweils m.w.N.).

 

Hinweis:

Der Verteidiger muss den Mandanten darüber belehren, dass er einen Anhörungsbogen allenfalls hinsichtlich der Personalien ausfüllen muss (§ 111 OWiG), wenn die nicht bekannt sind. Er muss ihn auch über ggf. bestehende Zeugnisverweigerungsrechte von Angehörigen belehren, die auch gegenüber der Polizei bestehen. Auch müssen Freunde und Nachbarn, die ggf. von der Polizei befragt werden, keine Angaben machen, solange die Polizei nicht selbst Bußgeld/Verwaltungsbehörde ist (zur polizeilichen Vernehmung Burhoff/Burhoff, EV, Rn 3707 ff.).

Für die Frage der Verjährung ist der tatsächliche Zugang eines Anhörungsbogen ohne Relevanz, denn nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG unterbricht bereits die Anordnung einer ersten Vernehmung des Betroffenen die Verfolgung.

Wendet sich der Betroffene im Vorverfahren/Verfahren bei der Verwaltungsbehörde gegen die von dieser erlassenen Entscheidung, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG das richtige Rechtsmittel. Über ihn entscheidet das zuständige AG. Gegen dessen Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht statthaft (§ 62 Abs. 2 S. 2 OWiG; vgl. wegen der Einzelheiten Burhoff/Gieg/Krenberger, OWi, Rn 367 ff.; Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O., § 62 Rn 1 ff. m.w.N.).

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