1 Leitsatz
Die im Rahmen des Bestimmungszwecks "Abstellen von Fahrzeugen" eröffnete individuelle Handlungsfreiheit darf durch eine Gebrauchsregelung nur so weit eingeschränkt werden, wie dies zur Erreichung des geordneten und störungsfreien Zusammenlebens und zur Wahrung des Hausfriedens erforderlich ist.
2 Normenkette
§§ 10 Abs. 1 Satz 2, 16 Abs. 1 Satz 3, 19 Abs. 1 WEG
3 Das Problem
Nach der Gemeinschaftsordnung kann der Verwalter "nach Rücksprache mit der Wohnungseigentümerversammlung" eine Hausordnung erlassen. Dies tut er auch. Im April 2021 ergänzen die Wohnungseigentümer diese Hausordnung: Sie verbieten nämlich die Nutzung von Standheizungen in der Tiefgarage. Hintergrund sind Erwägungen zum Brandschutz und zum CO2-Ausstoß.
Gegen den Beschluss geht Wohnungseigentümerin K vor. Ihrem Wohnungseigentum ist an einem Tiefgaragen-Stellplatz ein Sondernutzungsrecht zugeordnet. Sie meint daher, es gebe für den Beschluss keine Beschlusskompetenz. Sie sei in der Nutzung lediglich „an die Zweckbestimmung der Gemeinschaftsordnung„ gebunden. Diese erlaube das Abstellen von Kraftfahrzeugen und Fahrrädern und müsse daher auch alle damit verbundenen Tätigkeiten wie auch den Betrieb einer Standheizung ermöglichen. Es werde in den Kernbereich ihres Sondernutzungsrechts eingegriffen.
4 Die Entscheidung
Die Anfechtungsklage hat Erfolg! Der Beschluss entspreche nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung. Ein Beschluss zur Frage, wie man eine Fläche, die einem Sondernutzungsrecht unterliegt, gebrauchen dürfe, sei nur dann ordnungsmäßig, wenn er den ohnehin dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 WEG) unterfallenden Gebrauch durch den Sondernutzungsberechtigten konkretisiere und nicht in den Kernbereich des Sondernutzungsrechts eingreife. Ein nach § 14 Abs. 1 WEG zulässiger Gebrauch dürfe durch einen Beschluss nicht untersagt werden (Hinweis auf LG Hamburg, Urteil v. 17.6.2015, 318 S 167/14, ZMR 2015 S. 787).
Der Beschluss greife zwar nicht in den Kernbereich des Sondernutzungsrechts ein. Er enthalte in seiner Allgemeinheit aber eine zu weitgehende Einschränkung des durch die Gemeinschaftsordnung eingeräumten Gebrauchs (Abstellen von Fahrzeugen). Die im Rahmen dieses Bestimmungszwecks eröffnete individuelle Handlungsfreiheit dürfe durch eine Gebrauchsregelung nur so weit eingeschränkt werden, wie dies zur Erreichung des geordneten und störungsfreien Zusammenlebens und zur Wahrung des Hausfriedens erforderlich sei. Das "Schlechthin-Verbot" von Standheizungen sei zu weitgehend. Es fehle an einem schützenswerten Interesse, soweit der Beschluss auch die Nutzung elektrischer Standheizungen untersage. Diese stießen keine Schadstoffe aus. Es sei daher nicht erkennbar, inwieweit deren Betrieb beeinträchtigen und damit im Rahmen des allgemeinen Rücksichtnahmegebots zu unterlassen sein sollte. Auch Erwägungen des Brandschutzes trügen nicht. Denn auch wenn der unbeaufsichtigte Betrieb von Standheizungen das Risiko von Fahrzeugbränden erhöhen sollte, könne dieser Umstand nicht herangezogen werden, um ein generelles Nutzungsverbot zu rechtfertigen: Untersagt werde auch der beaufsichtigte Betrieb. Auch im Übrigen sei kein Grund für ein unterschiedsloses Verbot erkennbar. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Betrieb von Standheizungen in der Tiefgarage öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterliege oder nach der Verkehrsanschauung, namentlich nach allgemein üblichen Benutzungsregelungen, als unzulässig anzusehen sei.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um eine Gebrauchsvereinbarung. Zu fragen ist, ob es möglich ist und ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, es zu verbieten, in Tiefgaragen Fahrzeuge abzustellen, die eine Standheizung haben.
Beschlusskompetenz
Soweit die Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums und des Sondereigentums nicht durch ein Gesetz oder durch eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer geregelt ist, können die Wohnungseigentümer über eine ordnungsmäßige Benutzung beschließen.
Im Fall gibt es eine Vereinbarung, nämlich eine Sondernutzungsrechtsvereinbarung. Hier gilt: Die Wohnungseigentümer können Regelungen zum Gebrauch eines Teils, eines Raums oder einer Fläche treffen, die einem Sondernutzungsrecht unterliegen. Ein Sondernutzungsrecht nimmt den Wohnungseigentümern nicht das Recht, den allgemeinen Gebrauch auch durch Beschluss zu regeln. Die Wohnungseigentümer können z. B. die Öffnungszeiten eines "Biergartens" regeln, zur Bepflanzung einer einem Sondernutzungsrecht unterliegenden Fläche Gebrauchsbestimmungen treffen, regeln, dass die einem Sondernutzungsrecht unterliegende Fläche im Notfall als Fluchtweg genutzt werden kann, oder grundsätzlich regeln, bis wann ein Stellplatz befahren werden darf.
Etwas anderes gilt, wenn die Gebrauchsbestimmung das Sondernutzungsrecht seinem Inhalt nach ändert, es "aushöhlt". Dies ist beispielsweise der Fall, wenn für eine Gartensondernutzungsfläche ein "Ziergarten" vorgeschrieben wird, wenn für einen Kfz-Stellplatz das Parken von Autos verboten wird, wenn beschlossen wird, auf einer einem Sondernutzungsrecht unterliegen...