Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. unangemessene Verfahrensdauer. instanzenübergreifende Gesamtschau. zweijährige Urteilspause des Senats. dreimaliger Wechsel des Berichterstatters. Verzögerung durch Prozessverhalten des Klägers. umfangreiche Schriftsätze. Bezugnahmen auf andere Verfahren. Altfall. Übergangsregelung. unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge. Heilung der Wartefrist durch Zeitablauf. sozialgerichtliches Verfahren. Kostenquote

 

Orientierungssatz

1. Werden in einer Kammer eines Sozialgerichts oder in einem Senat eines Landessozialgerichts über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren keine mündlichen Verhandlungen durchgeführt und ergehen keine Instanz abschließenden Entscheidungen auf Grund oder ohne mündliche Verhandlung, ist ohne Weiteres davon auszugehen, dass die Bestände bzw eingehenden Verfahren eine unangemessene Dauer annehmen werden.

2. Im Hinblick auf die unangemessene Verfahrensdauer hat das Entschädigungsgericht in einer instanzenübergreifenden Gesamtschau unter Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit nur die Tatsachen, nicht die Gründe für verfahrensverlängernde Umstände (hier dreimaliger Wechsel des Berichterstatters) zu bewerten.

3. Eine Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens wird, auch wenn zunächst die Wartefrist des § 198 Abs 5 S 1 GVG nicht eingehalten wurde, wie in den Fällen der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG, durch Zeitablauf zulässig.

4. Dem Kläger kann unter den Umständen des Einzelfalls zur Erhebung der Verzögerungsrüge eine besondere Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen sein, mit dem Ergebnis, dass auch eine etwa zweieinhalb Monate nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhobene Rüge noch als unverzüglich iS des Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG zu werten ist.

5. Ein Entschädigungsanspruch kann zu vermindern sein, wenn der Kläger für die lange Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens (hier durch umfangreiche und ungeordnete Schriftsätze sowie zahlreiche Bezugnahmen auf andere Verfahren, die in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stehen) eine erhebliche Verantwortung trägt.

6. Der Entschädigungsbetrag ist nicht zu verzinsen.

7. Bei der Kostenquote führt bereits der Ausspruch einer unangemessenen Dauer des Verfahrens dazu, dass ein weitaus überwiegendes Obsiegen des Klägers festzustellen ist.

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Gerichtsverfahren mit dem erstinstanzlichen Az.: S 7 KA 3495/04 - Sozialgericht Gotha - und dem zweitinstanzlichen Az.: L 11 KA 356/09 - Thüringer Landessozialgericht - unangemessen lange gedauert hat.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen einer überlangen Dauer dieses Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 3.600,00 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben der Beklagte zu 4/5, die Klägerin zu 1/5 zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens aus dem Vertragsarztrecht hat, das erstinstanzlich mit dem Aktenzeichen S 7 KA 3495/04 bei dem Sozialgericht Gotha und im Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen L 11 KA 356/09 - Thüringer Landessozialgericht - geführt wurde.

Die Klägerin ist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie führt seit Jahren verschiedene Rechtsstreitigkeiten gegen die K.

Sie beantragte unter dem 12. Mai 2004 bei der K. einen Zuschuss zur Förderung des ambulanten Notfalldienstes. Mit Bescheid der K. vom 5. Juli 2004 wurde der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Juli 2004 (irrtümlich ist im Bescheid das Datum 1. Juli 2003 genannt) bis zum 30. Juli 2005 ein Zuschuss zur Förderung des ambulanten ärztlichen Notfalldienstes in Höhe von 500,00 € pro Quartal gewährt. Unter dem 18. Juli 2004 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Die Entscheidung der K. sei in Anbetracht der bisherigen Notfalldienstsituation in B. (ihrem Praxissitz) unzureichend. Sie führte aus, dass sie bereits seit dem Quartal III/1997 Anträge auf Erweiterung ihres Praxisbudgets gestellt habe. Sie habe in der Vergangenheit umfangreiche Notfalldienste leisten müssen. Die K. wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 2004 zurück. Mit Eingang vom 3. Dezember 2004 hat die Klägerin anschließend beim Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen S 7 KA 3495/04 geführt. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, dass die von der K. bewilligte Förderung ihres Notfalldienstes unzureichend sei. Der tatsächlich geleistete Notfalldienst sei seit dem Quartal II/1996 zu berücksichtigen. Seit diesem Quartal sei sie als praktische Ärztin in B. niedergelassen. Der Klageschrift hat sie umfangreiche Anlagen beigefügt, unter anderem eine Liste der durchgeführten Notfalldienste, Zeitungsartikel, Anträge auf Erweiterung ihres Praxisbudgets vom November 1998, einen Widerspruch gegen einen Honorarbescheid für das Quartal I/98, eine Klageschrift vom ...

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