Das Wichtigste in Kürze:

1. Im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung gilt § 140 Abs. 2 entsprechend.
2. Die Bestellung zum Pflichtverteidiger im Erkenntnisverfahren endet mit dessen rechtskräftigem Abschluss, eine Erstreckung auf das Vollstreckungsverfahren gibt es nicht.
3. Pflichtverteidigerbestellungen im Strafvollstreckungsverfahren sind immer noch die Ausnahme.
4. Die Beiordnungsvoraussetzungen sind ausschließlich anhand der Gegebenheiten des Vollstreckungsverfahrens festzustellen, etwaige Schwierigkeiten der Sache im Erkenntnisverfahren sind nicht von Belang.
5. Eine schwierige Sach- oder Rechtslage liegt vor, wenn im Widerrufsverfahren in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht Fragen aufgeworfen werden, die über die Probleme hinausgehen, die in einem solchen Verfahren regelmäßig zu beurteilen sind.
6. Der Verurteilte ist zur Selbstverteidigung unfähig, wenn aus Gründen, die in seiner Person liegen oder die sich aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ergeben, nicht sicher gewährleistet ist, dass er in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen, seine Interessen zu wahren und alle seiner Verteidigung dienenden Handlungen vorzunehmen.
7. Voraussetzung für eine Beiordnung im Widerrufsverfahren ist weiter, dass eine konkrete gerichtliche Entscheidung in naher Zukunft bevorsteht.
8. Für das Verfahren, die Auswahl des Pflichtverteidigers und die Rechtsmittel gelten die allgemeinen Regeln der Verteidigerbestellung. Die Beiordnung gilt aber nach h.M. nur für den jeweiligen Verfahrensabschnitt und nicht für das gesamte Vollstreckungsverfahren.
 

Rdn 372

 

Literaturhinweise:

Hillenbrand, Die notwendige Verteidigung gemäß § 140 StPO im Strafverfahren vor dem Amtsgericht – Teil 2, StRR 2014, 44

ders., Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung: Voraussetzungen und Verfahren, ZAP F.22, 799; Schütz, Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten oder Bestellung eines Pflichtverteidigers in Verfahren nach §§ 56 f., 57, 57a StGB?, NStZ 1985, 347

s.a. die Hinweise bei Burhoff, EV, Rn 2812 ff.

 

Rdn 373

1. Im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung gilt § 140 Abs. 2 StPO entsprechend (ganz h.M., statt aller Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 33; Burhoff, EV, Rn. 2817). Die Bestellung eines Verteidigers ist hiernach erforderlich, wenn die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung dies gebietet. Von der Schaffung einer speziell auf das Strafvollstreckungsverfahren zugeschnittenen Regelung hat der Gesetzgeber bislang (leider) abgesehen.

 

Rdn 374

2. Die Bestellung zum Pflichtverteidiger im Erkenntnisverfahren endet mit dessen rechtskräftigem Abschluss, eine Erstreckung auf das Vollstreckungsverfahren gibt es nicht. Dort ist folglich eine gesonderte Beiordnung von Amts wegen oder aufgrund eines neuen Beiordnungsantrags erforderlich (zum Verfahren s. Rdn 386).

 

Rdn 375

3.a) Pflichtverteidigerbestellungen im Strafvollstreckungsverfahren sind immer noch die Ausnahme. Die Voraussetzungen für eine Beiordnung werden hier von den Gerichten erheblich enger ausgelegt als im Erkenntnisverfahren (Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 33). Im Vollstreckungsverfahren bestehe in weitaus geringerem Maße als in dem kontradiktorisch ausgestalteten Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis nach einer Mitwirkung eines Verteidigers, da der Verurteilte sich nicht gegen einen Tatvorwurf wehren muss. Zudem stünden der StA keine so weitreichenden Befugnisse zu wie im Erkenntnisverfahren und die Strafhöhe stehe bereits fest (vgl. u.a. BVerfG NJW 2002, 2773; KG StV 2007, 96; NStZ-RR 2006, 211). Die Prüfung der Voraussetzungen für den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung sei ferner i.d.R. nicht so schwierig, dass dem Verurteilten ein Verteidiger beigeordnet werden müsste (LG Potsdam NStZ 2003, 331).

 

Rdn 376

b) Eine allzu restriktive Verfahrensweiseverbietetsich jedoch gleichwohl. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers gehört überall dort, wo die Beiordnungsvoraussetzungen vorliegen, zu den verfahrensrechtlichen Absicherungen des Freiheitsgrundrechts (BVerfG StV 2006, 426), und der verfassungsrechtlich garantierte Grundsatz des fairen Verfahrens, der ebenfalls die Bestellung eines Pflichtverteidigers verlangt, wenn sich der Verurteilte nicht selbst verteidigen kann, gilt auch im Vollstreckungsverfahren (BVerfG a.a.O.; LG Bremen StV 2014, 39).

 

☆ Solange es bei der zurückhaltenden Beiordnungspraxis bleibt, ist im Beiordnungsantrag zu den die Bestellung erforderlich machenden Umständen vorzutragen , mit Beiordnungen von Amts wegen wird kaum einmal gerechnet werden können. Dabei kann ggf. auf die im Erkenntnisverfahren getroffenen Feststellungen zurückgegriffen werden, wenn sich aus ihnen die Unfähigkeit des Verurteilten zur Selbstverteidigung ergibt , etwa wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen, einer intellektuellen Minderbegabung, Sprachschwierigkeiten oder aufgrund ähnlicher Umstände (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 252). Auch die Berichte des Bewährungshelfers können weiterhelfen.vorzutra...

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