Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Verstoß gegen Mitwirkungspflicht nach § 48 AufenthG 2004. Beschränkung der Leistungen auf das physische Existenzminimum. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die in § 1a Abs 3 S 1 AsylbLG, § 1a Abs 2 AsylbLG in der Fassung vom 31.7.2016 vorgesehene Absenkung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (juris: AsylbLG) auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege (sog reduziertes physisches Existenzminimum) hält die Kammer nicht für unvereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Anschluss an LSG München vom 11.11.2016 - L 8 AY 29/16 B ER = ZFSH/SGB 2017, 335; SG Landshut vom 10.8.2016 - S 11 AY 69/16 ER). Einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 S 1 GG bedarf es deshalb nicht.

2. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG) ist nicht absolut zu verstehen. Es kann in Teilen von der Erfüllung von Obliegenheiten - auch von ausländerrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Beschaffung von Pass(ersatz)papieren - abhängig gemacht werden (Anschluss an BSG vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R = BSGE 123, 157 = SozR 4-3520 § 1a Nr 2).

3. Die Kammer hält die in § 1a Abs 2 AsylbLG vorgesehene Nichtberücksichtigung von Leistungen zur gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe (Abteilung 7-12) im Fall der Absenkung der Leistungen für nicht verfassungswidrig.

4. Die Beschränkung des Leistungsumfangs auf ein abgesenktes physisches Existenzminimum (ohne Abteilung 3: Bekleidung) hält die Kammer für noch verhältnismäßig, da § 1a Abs 2 S 3 AsylbLG insoweit eine Härtefallregelung vorsieht.

 

Tenor

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zum Aktenzeichen S 44 AY 14/17 wird abgelehnt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt mit dem vorliegenden Verfahren die Gewährung höherer Leistung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der am A. in B., Elfenbeinküste, geborene Antragsteller ist ivorischer Staatsangehörigkeit und gehört der Volksgruppe der C. an. Er reiste am 09.11.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 01.12.2015 einen Asylantrag. Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 12.01.2016 gab der Antragsteller an, er habe sein Heimatland wegen der Armut seiner Familie verlassen. Weitere Probleme habe es nicht gegeben. Zudem gab er an, er habe dort eine ID-Karte, eine Geburtsurkunde und eine Art Personalpapier gehabt. Diese Unterlagen habe er in D. verloren. Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 19.09.2016 als offensichtlich unbegründet ab. Zudem wurde die Zuerkennung einer Flüchtlingseigenschaft und das Bestehen subsidiären Schutzes ebenfalls jeweils als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen würden. Mit Beschluss vom 04.10.2016 wies das Verwaltungsgericht Osnabrück einen Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab (5 B 341/16).

Mit Schreiben vom 26.10.2016 wurde der Antragsteller daraufhin aufgefordert, zur Klärung seiner aufenthaltsrechtlichen Situation unverzüglich telefonisch einen Termin zur Vorsprache bei dem Antragsgegner zu vereinbaren. Zudem wurde der Antragsteller auf die Passpflicht nach § 3 Abs. 1 AufenthG hingewiesen und aufgefordert, einen Pass oder Passersatz vorzulegen. Des Weiteren wurde der Antragsteller für den Fall, dass er keinen Pass oder Passersatz habe, auf seine Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 3 AufenthG und § 49 Abs. 2 AufenthG hingewiesen. Die Adresse der zuständigen Botschaft wurde genannt.

Mit Schreiben vom 08.12.2016 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu einer beabsichtigten Verpflichtung zu einer Flüchtlingsintegrationsmaßnahme bei der Gemeinde A-Stadt für die Zeit vom 16.01.2017 bis 16.07.2017 an. Mit einem in den Akten wohl nicht befindlichen Bescheid vom 21.12.2016 wurde der Antragsteller wohl zur Wahrnehmung der angekündigten Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen herangezogen.

Mit Schreiben vom 04.01.2017 wurde der Antragsteller zu einer Vorsprache am 12.01.2017 um 10:00 Uhr aufgefordert. Dieser Aufforderung kam der Antragsteller, wenn auch nicht an dem konkreten Tag, so dennoch zumindest am 17.01.2017 nach. Nach der von dem Antragsteller unterschriebenen Niederschrift über diese Vorsprache beantragte der Antragsteller in diesem Termin eine Duldung. Der Antragsteller sei - so die Niederschrift weiter - auf seine ausländerrechtliche Situation und die bestehende Ausreisepflicht hingewiesen worden. Das Schreiben vom 26.10.2016 habe er erhalten und zur Kenntnis genommen. Ob er freiwillig ausreise, wisse er noch nicht. Er sei nicht im Besitz gülti...

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